Der Begriff Videospiel-Journalismus ist auch nach vielen Jahren schwierig für mich. Am Begriff stört weniger der Begriff Videospiele als Journalismus. Keine Sorge, es folgt keine wiederholte Abhandlung über die Sinnhaftigkeit des in den 90er Jahren eingeführten und leider bis heute omnipräsenten Waschmaschinenjournalismus für das Medium Videospiele. Vielmehr geht es darum den heutigen Status zu erfassen und einen Versuch über die Zukunft nachzudenken. Willkommen in der Welt der Videospielberichterstattung, deren dritte Version im November 2013 begonnen hat.
Die erste Generation des Videospiel-Journalismus boomte im deutschsprachigen Raum in der zweiten Hälfte der 90er. Mit der Verbreitung von PCs und Heimkonsolen fand das Thema Videospiele erstmals ein größeres Publikum und wandelte sich zum Unterhaltungsmedium für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Konzipiert als Hilfestellung vor und nach dem Kauf, bestand der Inhalt der Monatsmagazine primär aus standardisierten Testberichten, Beiträgen zu künftigen Titel, Lösungshilfen zu erhältlichen Spielen und einem Minimalanteil an Reportagen. Videospiele waren für die Zielgruppe teuer, Videospiele waren teilweise schlecht und Videospiele wurden als reines Unterhaltungskonsumgut wahrgenommen. Die Finanzierung erfolgte durch den Verkauf der Magazine und Werbeanzeigen in diesen. Trotz Wachstumsmöglichkeiten blieben die Publikationen vermutlich aufgrund des unspannenden Konzeptes ein Nischenthema und der größte Teil der Einnahme kam durch die Werbeanzeigen der Videospiel-Industrie zustanden. Egal wie häufig auch versucht wurde die Unabhängigkeit der Berichterstattung in den Vordergrund zu stellen oder zu betonen, ein fahler Beigeschmack bezüglich des Finanzierungsmodells mittels Werbung der Videospiel-Industrie bleibt bis heute bestehen.
Und dann kam das Internet. Mit steigender Vernetzung, einer heute trägen und bis vor kurzem nicht vorhandenen Onlinestrategie der Printmagazine, dem Frust über den sich ständig wiederholenden Einheitsbrei und der Möglichkeit die eigene Meinung kostengünstig einem breiten Publikum zugänglich zu machen entstand die zweite Generation des Videospiel-Journalismus. Blogger, Podcaster und auch Let’s Player produzieren seit Jahren Inhalte, die sie selbst gerne konsumieren würden, aber nicht finden konnten. Kostenlos, Schnell, Kontinuierlich und Vielfältig sind wohl die treffendsten Bezeichnungen. Inspiriert vom Medienkonsum der eigenen Vergangenheit beschäftigen sich zumeist Menschen ohne journalistische Ausbildung mit Spielen und meistern dabei die Herausforderungen und Probleme des Printmarkts. Das Publikum ist in Summe größer als zuvor, die Inhalte sind besser sowie vielfältiger und die Autoren sind wirtschaftlich nicht auf die Videospiel-Industrie angewiesen. Der Erfolg kommt aber nicht ohne seinen Preis. Die vorhandene Kostenloskultur erschwert eine Professionalisierung, Qualität geht in der Quantität oftmals unter und mit steigender Attraktivität und auch erhöhtem Interesse der Videospiel-Industrie, steigt die Gefahr einer bewussten oder unbewussten Beeinflussungen durch diese. Schleichend transformierte sich teils auch die Betrachtungsweise des Mediums weg vom reinen Unterhaltungskonsumgut in Richtung Kulturgut.
Der Launch der Xbox One und PlayStation 4 markieren aus aktueller Sicht den Start einer neuen Generation der Berichterstattung über Videospiele. Eine Generation die wenig bis nichts mit Journalismus zu tun hat, eine Generation die signifikanten Einfluss auf die Kaufentscheidungen eines noch breiteren Publikums hat, eine Generation die noch stärker von den Herstellern beeinflusst wird als jede zuvor, eine Generation in der Quantität und Ruhm die treibenden Kräfte sind. Es geht um Live Streaming, der Generation Twitch. In Echtzeit übertragen tausende Spieler den Inhalt ihres Fernsehers ins Internet sowie dank entsprechender Apps auch direkt auf die Konsolen und kommentieren sich selbst dabei. Kinect und die PlayStation Kamera zeigen parallel den Berichterstatter, der mittels Textchat in direkter Verbindung mit den Zusehern steht. Twitch als Plattform ist seit einigen Jahren am Markt und bedient im PC Bereich bereits eine Zielgruppe, erreicht aber durch die Integration in die Betriebssysteme der beiden Konsolen eine neue Dimension. War Live Streaming in der Vergangenheit mit einem gewissen finanziellen und technischen Aufwand verbunden, ist es nun nur wenige Tasten oder einen simplen Sprachbefehl entfernt und somit für alle problemlos zugänglich. Die Motivation für die Spieler? Andere Gleichgesinnte an der eigenen Erfahrung teilhaben lassen, sich selbst profilieren und die berühmten 15 Minuten Ruhm. Die Berichterstattung ist nur mehr nebensächlich, die Unterhaltungskomponente für die Zuseher steht viel mehr im Vordergrund.
Parallel zur Integration wurden zwei Grenzen aufgehoben, ohne dass es den meisten eigentlich bewusst ist. Eine davon ist der Medienbruch, der in der Vergangenheit zwischen Berichterstattung und dem eigentlichen Kauf vorhanden war. Der digitale Marktplatz ist für die Generation Twitch zu jedem Zeitpunkt nur einen Tastendruck entfernt und die Produktseite des Spiels dient gleichzeitig als zentraler Punkt für weitere Inhalte. Und genau diese praktische Zentralisierung der Inhalte stellt das zweite große Thema dar. Neben der Grundproblematik, dass die Sichtbarkeit der Inhalte vom Anbieter des Marktplatzes gesteuert werden kann und auch wird, existiert keine Trennung zwischen Berichterstattung und Werbung. Neben Live Übertragungen und von Benutzern erstellte Videos im YouTube Stil finden sich die von Herstellern produzierten Hochglanzvideos von Messen, Interviews mit Entwickler oder Berichte zu Launchevents neutral zwischen anderen Beiträgen. Eine klare Kennzeichnung findet nicht statt und auch wenn ein durchschnittlich verständiger Konsument heute innerhalb weniger Sekunden den Unterschied erkennt, verschwimmt die Grenze zwischen Berichterstattung und Werbung immer stärker.
Live Streaming ist die Weiterentwicklung des derzeit unheimlich populären Let’s Play Formats. Die Adaptierung der digitalen Marktplätze als zentraler Anlaufpunkt für die Berichterstattung ist ein weiterer Schritt zur finanziellen Sicherung der eigenen Konsolenplattform. Der Generation Print geht es wirtschaftlich schlecht, da die Generation Internet durch kostenlose und bessere Inhalte einen großen Teil der damaligen Zielgruppe übernommen hat. Die Generation Twitch wird in den nächsten Jahren selbiges machen. Die Inhalte bleiben kostenlos, Qualität wird noch stärker durch Quantität ersetzt und die Berichterstattung zum Unterhaltungsformat. Durch den leichteren Zugang wird analog zum ersten Generationswechsel der momentan anlaufende Wechsel erneut zu Lasten der Generation Print und natürlich auch der Generation Internet erfolgen.
Wird der Videospiel-Journalismus der Generation Print ein Ende finden? Vermutlich oder zumindest ein noch stärkeres Nischenthema. Wird sich die Berichterstattung der Generation Internet ändern? Definitiv. Wird alles besser? Nein. Wird alles anders? Ja. Schöne neue Welt der Videospiel-Berichterstattung, hässliche neue Welt für Menschen die mit Inhalten über Videospiele Geld verdienen müssen. Willkommen in der Version 3.0 des Videospiel-Journalismus, der Generation Twitch, bei der Unterhaltung vor Berichterstattung steht.
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