Ein Monat ist zwischen dem Release von Watch_Dogs und dem zugehörigen Beitrag vergangen. Ein langer Zeitraum in der heutigen schnelllebigen Zeit und sehr lange in der von Geschwindigkeit getriebenen Umgebung des Videospiel-Journalismus. Ein punktgenau zum Embargoende veröffentlichter Beitrag scheint das Ziel zu sein, die Erwartungshaltung und der zeitliche Maßstab. Eine Verspätung von Tagen oder gar Wochen ist undenkbar, es gilt das Momentum mitzunehmen, im besten Fall am Hype mitzumachen und selbst davon zu profitieren. Etwas was ich vor 18 Monaten mit einem Text zu Assassin’s Creed III versucht habe. Unabhängig von der Qualität des Beitrags fällt noch heute die Beurteilung meiner damaligen Spielerfahrung schlecht aus, unfair schlecht. Zwanghaft innerhalb kurzer Zeit den Titel durchgespielt und unabhängig von der eigenen Schreibmotivation einen Beitrag dazu verfasst. Nie hatte ich so wenig Spaß am Spielen wie damals und es war nicht die Qualität des Spiels, es war die erzwungene Zeit damit.
Je älter ich werde, desto spannender finde ich das Thema Zeit, die Wahrnehmung dieser und das veränderte Empfinden dafür. Vor 15 Jahren verbrachte ich Wochenenden in abgedunkelten Veranstaltungshallen um mit und gegen Gleichgesinnte zu spielen, heute wäre es mir zu Schade um die Zeit. Es war keine schlechte Zeit und zu keinem Zeitpunkt möchte ich die damaligen Erfahrungen, aus denen Freundschaften entstanden sind, missen. Heute wäre ich jedoch nicht mehr bereit denselben zeitlichen Umfang dafür zu investieren. Ähnlich verhält es sich im Bezug auf Videospiele, genauer gesagt auf die Art und Weise wie ich spiele. Früher galt es möglichst viel Zeit aus einem Videospiel zu holen, denn die Anzahl der Spiele war als Schüler aufgrund des fehlenden Einkommens limitierter als die zur Verfügung stehende Zeit. Heute ist es umgekehrt und die Zeit ist die knappere Ressource beziehungsweise sind die Prioritäten andere. Gemeinsame Zeit mit Anderen, sportliche Aktivitäten, Ausflüge, Reisen und Zeit für sich selbst stehen stärker im Fokus als früher und auch als das Medium Videospiele.
Die Faszination am Medium selbst hat sich für mich im Laufe der Jahre gesteigert, jedoch die Art des Erlebens geändert. Verschwunden ist der Drang vorne dabei zu sein, vorbei sind ausufernd lange Spielsitzungen und das Absuchen jeder virtuellen Ecke nach dem letzten Sammelgegenstand. Kurze und unregelmäßige Spielsitzungen sind zur Norm geworden und kompetitive Online-Wettkämpfe zur Ausnahme. Waren früher Spiele innerhalb weniger Tage durchgespielt, verteilt sich die Spielzeit jetzt auf Wochen und teilweise Monate. Der vor Jahren berücksichtigte Faktor der erhaltenen Spielzeit pro bezahlten Euro ist zugunsten der inhaltlichen Werte immer stärker in den Hintergrund gerückt und mittlerweile fast komplett verschwunden.
Erwachsen werden ist in meinen Augen eine schwierige Floskel, aber wenn man so will, bin ich mit Videospielen erwachsen geworden. Videospiele haben sich während der Zeit verändert, ich habe mich verändert. Dieses geänderte Verhalten ist vermutlich auch der Grund warum mich die sich stetig wiederholende Spielmechanik in einem Spiel wie Child of Light nicht stört, sondern anspricht und meiner derzeitigen Spielart entgegenkommt. Wenn ich Zeit investiere, dann soll sich diese Zeit gut anfühlen und nicht frustrieren. Gleichzeitig soll die Zeit abwechslungsreich und unterhaltsam sein, keinesfalls aufgezwungen. Mir sind die Pixel pro Spielfigur und Bilder pro Sekunden genauso egal wie jeder andere messbare Wert, es zählt vielmehr die mit dem Spiel verbrachte Zeit und dessen Qualität für mich. Hyperkomplexe Spielmechaniken die man nur einmal einsetzt und dreifach belegten Tasten am Controller verlieren im direkten Vergleichen gegenüber Zugänglichkeit und der Spielerfahrung als Gesamtes. Repetierende Spielmechaniken wirken oberflächlich langweilend, sind es aber aufgrund des geänderten Spielverhaltens nicht zwangsläufig. Man braucht nur Zeit, Zeit um es zu begreifen.
Kleine unabhängige Entwicklerteams haben in den letzten Jahren das Medium Videospiele positiv weiterentwickelt und gezeigt, dass es nicht nur einer Zielgruppe mit viel Zeit und wenig Geld gibt. Eine Tatsache die mittlerweile auch in der klassischen Videospiel-Branche angekommen ist. Nicht ohne Grund buhlen die Konsolenhersteller immer stärker um die Gunst der Indie-Entwickler und auch die großen Publisher versuchen mit kleinen Teams abseits der sonst üblichen Entwicklungspfade neue Wege einzuschlagen. Neue Spielerfahrungen, mechanisch einfachere Spielkonzepte, oftmals begrenzterer Umfang und Ideen, die auch zum Nachdenken anregen können. Das Resultat sind Spiele und Spielkonzepte für eine älter gewordene Generation an Videospieler, einer Generation die von Jahr zur Jahr größer wird.
Ein Wandel, der sich auch in der Berichterstattung über Videospiele wieder findet, naja zumindest teilweise. Die inhaltliche Ausrichtung der gedruckten Videospielmagazine im deutschsprachigen Raum hat sich im Gegensatz zur gealterten Generation an Spielern und dem Medium Videospiele nur minimal bis nicht verändert. Einer der Gründe diesen Blog zu starten war schlichtweg der Mangel an für mich lesenswerten Texten über das Medium Videospiele. Texte die ich lesen möchte, aber nicht finden konnte. Ich will keinen Text von jemanden lesen, der ein Spiel zwanghaft im Akkord gespielt hat, um pünktlich zum Embargoende einen Beitrag veröffentlichen zu können um die Erwartungshaltung von irgendjemanden zu erfüllen. Vielmehr möchte ich Inhalte lesen, die jemand verfasst hat, der ein Spiel normal gespielt hat. So normal wie es heute für eine Generation erwachsener Spieler ist, einer Generation bei der Zeit zu einer wichtigen und kostenbaren Ressourcen geworden ist.
Neben dem unspektakulären Waschmaschinenjournalismus der letzten 20 Jahre im Bereich der Videospielberichterstattung sind in den letzten Jahren eine Handvoll spannender deutschsprachiger Publikationen rund um das Thema Videospiele entstanden. Dies sind zum Beispiel Video Game Tourism, der GameStandard, Superlevel, Polyneux oder das gedruckte und uneingeschränkt empfehlenswerte Bookazine WASD.
Ein Kommentar zu „Time“
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