Montag kurz vor 18 Uhr, ich sitze vor dem Fernseher und warte gespannt auf den Beginn der Live Übertragung aus Los Angeles. Es ist E3 und wie jedes Jahr eröffnet Microsoft mit dem Xbox Media Briefing die Industriemesse. Dieses Jahr ist jedoch anders, denn es ist die erste E3 nach dem Start einer neuen Generation an Konsolen, das erste Jahr mit Xbox One und PlayStation 4 am Markt. Was kurz nach 18 Uhr folgt ist eine schnell geschnittene und mit viel akustischen Woop Woop präsentierte Mischung etlicher Trailer und Spielsequenzen. Ein Tweet von mir beschreibt die Show als Achterbahnfahrt, eine extrem geniale 90 Minuten lange Achterbahnfahrt. Fanboy Getue? Vielleicht ein kleines bisschen. Wenige Minuten später folgt bereits der berechtigte Gegentweet. Es wird die Frage nach den Visionen, neuen Ideen und der Next-Gen gestellt. Was nun folgt ist der Versuch die nächste Generation der Videospiele zu definieren. Klingt einfacher als es ist, erst Recht wenn man versucht die vordefinierte Meinung der Industrie zu ignorieren.
Schauen wir uns mal an, was die Industrie als Next-Gen Spiel versteht, beziehungsweise was während der letzten beiden E3 Messen als solches präsentiert wurde. Tonangebend sind die Hersteller der Konsolen, die mit ihren internen Studios versuchen Referenzen zu schaffen, einen Proof of Concept. Gelingt dieser Beweis, bekräftigt er die Hoffnung, dass andere Firmen das Konzept übernehmen. Fast alle dieser Ideen sind einzigartig für die eigene Konsolenplattform, manches existiert jedoch in Grundzügen auch bei Marktbegleitern. Ein solch universal vorhandenes Beispiel stellt der Second Screen dar, der im Vorjahr äußerst beliebt war. Egal ob als universelle App des Konsolenherstellers, dezidierte Begleiter App für ein Spiel oder Eingabe- und Abspielgerät für Spielinhalte. Kein Hersteller hatte im Vorjahr die Nutzung eines zweiten Bildschirms ausgelassen. Dieses Jahr spricht niemand mehr proaktiv darüber und die mehr oder weniger bedingt sinnvollen Konzepte seit dem Launch von Xbox One und PlayStation 4 sind selbsterklärend für das Warum. Das zweite große letztjährige Thema war die Pixelmenge auf dem Bildschirm und deren Anzahl pro Sekunde. Im Endeffekt nicht mehr als sinnbefreite technische Zahlenspielchen, die beim Sprung in die HD Generation vor neun Jahren eine Auswirkung auf die Spielerfahrung hatten, aber heute aufgrund des generellen Standards irrelevant sind. Der dieses Jahr neue omnipräsente Aspekt waren Koop-Modi, die zwar bereits seit langer Zeit existieren, aber erstmals flächendeckend über alle Genres quasi zum Standard künftiger Spielerfahrungen werden. Shared Experiences lautet das Wunderwuzzi-Marketingwort dazu und gemeinsame Spielerfahrungen sind in der Tat spannend und könnten die Spielerfahrung der Zukunft stärker bestimmen als alle anderen gezeigten Ansätze.
Das gemeinsame Spielen ist jener Aspekt, der den Spielern in der letzten Generation durch die Vernetzung der Konsolen genommen wurden. Anstatt wie zuvor ein Spiel gemeinsam auf einer Couch zu erleben, wurde versucht mittels Onlinedienste den Aufwand des Besuchs zu entfernen, was aber die Schwelle erhöht anstatt gesenkt hat. Plötzlich brauchten Freunde dieselbe Konsole, das gleiche Spiel und ebenso Zugriff auf den Online-Service. Schleichend wurde das gemeinsame Spiel nicht mehr so geplant wie früher, da durch die Onlinedienste quasi zu jedem Zeitpunkt menschliche Mitspieler bereitgestellt werden konnten. Technisch funktioniert dies, jedoch ist die gemeinsame Spielerfahrung mit Unbekannten nicht vergleichbar mit der mit Freunden. Das Resultat war eine seltenere Nutzung der Koop-Modi, auf welche im Zuge der Überoptimierung der Spielehersteller aufgrund des zu geringen Interesses immer öfter verzichtet wurde. Umso erfreulicher ist die Rückkehr dieser gemeinsamen Spielerfahrung, auch wenn diese fast ausschließlich Online stattfinden wird. Der Aufwand bleibt auch jetzt ähnlich wie in der letzten Generation, spannend wird jedoch ob die Hersteller aus den Fehlern der letzten Generation gelernt haben. Niemand möchte seine Erfahrung mit austauschbaren anonymen Mitspielern teilen, vielmehr gilt es den Spielern eine möglichst gute Onlineerfahrung zu bieten. Klingt nach einem unlösbaren Problem? Nicht ganz, mögliche Lösungskonzepte lauten wirkliche Regionalität, robuste Reputationssysteme und eine funktionierende Community abseits der Konsole.
Unabhängig von Features wird bei Next-Gen Spielen der Aspekt der Diversität der treibende Faktor sein, ein Aspekt den keiner der großen Spielehersteller auch nur Ansatzweise in absehbarer Zeit erfüllen kann und wird. Videospielentwicklung ist teuer und alle großen Hersteller haben am Ende als primäres Ziel ein wirtschaftlich gutes finanzielles Ergebnis abzuliefern. Die in den letzten Jahren umgesetzte Strategie hierzu lautet Einheitsbrei anstatt Unterschiedlichkeit. Bestehende wirtschaftlich funktionierende Spielemarken werden jährlich größer, umfangreicher und besser, aber nicht anders. Experimente kosten Geld, viel Geld und haben am Papier wenig Chancen sich zu rentieren. Der Produktionsprozess von Blockbuster-Titeln bietet keinen Platz für ausufernde Kreativität, der Vorgang der Spielentwicklung erinnert mittlerweile eher an Akkordarbeit, digitaler Akkordarbeit. Diversität bedeutet in der erfolgsgetriebenen und von Statistiken beherrschten Videospielindustrie einen Wechsel der Umgebung, eine Verlagerung in andere Zeitepochen oder ein Konzept mit neuen Grafiken zu kopieren. Wirkliche Diversität entsteht im kleinen Rahmen in Wohnzimmern und Garagen weltweit. Microsoft und Sony scheinen dies verstanden zu haben, fördern Indie-Entwickler im Rahmen entsprechender Initiativen und das ist gut sowie wichtig. Mit der letzten Generation wurde der Kunde zum digitalen Kauf erzogen, in der aktuellen Generation wird diese zum Standard werden. Auch wenn Indie-Spiele keinen Platz in den Regalen der Einzelhändler haben, haben sie Platz im digitalen Schaufenster von Xbox Live und dem PlayStation Network. Einem Schaufenster, welches künftig von immer mehr Spielern wahrgenommen wird und mit Hilfe anderer Preismodelle die inhaltliche und spielerische Diversität gegenüber Blockbuster-Produktionen fördern und stärken wird.
Bedeutet dies, dass das typische Next-Gen Spiel von einem Indie-Entwickler kommt und einen Koop-Modus integriert hat? Theoretisch ja, realistisch nein. Es ist nicht möglich ein Spiel stellvertretend für eine komplette Konsolengeneration zu definieren. Die Frage nach neuen Ideen und Visionen kann in einer übervernetzten Konsolenwelt nicht pauschal beantwortet werden. Inhaltlich werden Indie-Games wohl künftig immer mehr für neue Konzepte sowie Experimente sorgen und die Konsolenhersteller formen die Spielerfahrung durch die eigenen Online-Dienste immer stärker, sei es um die perfekte gemeinsame Spielerfahrung zu kreieren oder Spiele in Inhaltsplattformen zu transformieren. Und der Einheitsbrei an immer größeren und hübscheren Blockbuster-Produktionen? Die wird es weiterhin geben, denn diese trägen zur Gesamtdiversität der Plattformen bei und erfüllt gleichzeitig die wichtige Aufgabe der Zielgruppevergrößerung für Videospiele. Das Erweitern dieser übernehmen im Anschluss die digitalen Schaufenster der Konsolenhersteller, Schaufenster gefüllt mit Indie-Spielen und zwischen drinnen dem einen oder anderen klassischen Blockbuster-Titel.
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