Eigentlich müsste sich jemand einmal hinsetzen und die unterschiedlichen Marketingmaßnahmen für Videospiele dokumentieren. Diese beurteilen sowie in standardisierte Phasen einteilen, danach den Ablauf mehrfach wiederholen, um am Ende ein möglichst universell anwendbares Grundgerüst der Marketingaktivitäten dokumentiert zu haben. Die Prozedur sollte in regelmäßigen längeren Intervallen wiederholt werden, damit die Verschiebung der Prioritäten sowie zeitlichen Abläufe zwischen unterschiedlichen Generationen festgehalten wird.
Der Nutzen einer solchen Analyse sei dahingestellt, jedoch würde es zumindest mich persönlich brennend interessieren. Konkret in Bezug auf das im Juni 2016 erschienene Mirror’s Edge Catalyst, dem Nachfolger des im Jahr 2008 erschienenen Mirror’s Edge, eines der wenigen Videospiele, welches mir auch nach Jahren noch intensiv in Erinnerung geblieben ist. Anderen Spielern ging es ähnlich und trotz schlechter Basisvoraussetzungen, entschloss sich Electronic Arts nach Jahren für einen Nachfolger.
Aus heutiger Sicht, sprich ein paar Wochen nach der Veröffentlichung von Mirror’s Edge Catalyst, wäre es zwar besser gewesen das Thema Nachfolger ruhen zu lassen, aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Mirror’s Edge war damals spielerisch anders, neu und interessant, jedoch aus wirtschaftlicher Sicht eine Katastrophe. Mirror’s Edge Catalyst orientiert sich nur noch am Vorgänger, verweichlicht den eigenen Ursprung mit dem heute üblichen Einheitsbrei einer offenen Spielwelt und demonstriert mit einer im Prinzip nicht vorhandenen Marketingkampagne, dass der Titel intern bereits seit Monaten für scheintot erklärt wurde. Zu gut um das Videospiel nicht zu veröffentlichen, zu schlecht um wirklich Geld in die erforderliche Werbeplatzierung zu investieren und damit gleichzeitig ideal für Experimente.
Inhaltlich beschäftigen sich beide Mirror’s Edge Teile mit der möglichst effektiven Bewegung und Navigation im urbanen Gebiet der Stadt Glass. Die Protagonistin Faith gehört zur Gruppe der Runner und übermittelt Informationen außerhalb der überwachten Datenverbindungen per gutem alten Turnschuhnetzwerk. Die Runtastic App des gleichnamigen Unternehmens aus Oberösterreich zeichnet Fitnessaktivitäten wie zum Beispiel das Laufen via GPS am Smartphone auf und versucht über verschiedene Methoden wie zum Beispiel Gamifikation die Nutzer zu mehr Sport sowie neuen Leistungen zu motivieren und gleichzeitig in das eigene Fitness Eco-System zu ziehen.
Der fehlende Absatz trotz Gedankensprung im letzten Abschnitt deutet das Kooperations-Experiment von Electronic Arts und Runtastic an, denn Mirror’s Edge Catalyst wurde mit der Fitness-App der sportmotivierten Kundschaft von Runtastic in Form von Story Running vermarket. Klingt auf der Informationsseite komplexer als es ist, denn im Prinzip handelt es sich dabei um ein 36 Minuten langes aber auch reduziertes Hörbuch mit einem hohen musikalischen Anteil. Die Motivation ist es den Läufer, zumindest akustisch, in die virtuelle Welt zu bringen, die Neugierde auf mehr zu wecken und im optimalen Fall Interesse am Videospiel selbst zu erzeugen. Am Papier ein interessanter Ansatz einer Kooperation, welche Inhalte für Runtastic bietet und gleichzeitig eine Werbefläche bei einer Zielgruppe mit einem hohen Interesse an einer der primären Tätigkeiten im Videospiel, dem Laufen, darstellt.
Interessant genug, um es im Selbstversuch zu testen. Erst Recht, da die Grundvoraussetzungen nicht optimaler hätten sein könnten: Fan des ersten Teils, gefreut wie ein kleines Kind bei der Ankündigung von Mirror’s Edge Catalyst, konnte mich jedoch bisher aufgrund der Kritik nicht zum Kauf durchringen, Läufer und auch zahlender Runtastic Premium Kunde.
Die erzählte Geschichte während des kurzen Laufs ist eine Vorgeschichte im Mirror’s Edge Catalyst Universum. Als stummer und unbekannter Runner wacht man im Krankenhaus auf und tritt über einen Knopf in Ohr mit Noah in Kontakt. Was folgt ist die Flucht aus dem Krankenhaus, ein paar Informationsfragmente zur Stadt Glass, der Flucht vor den Verfolgern von KrugerSec und der Versuch herauszufinden was das Schicksal von Faith ist. Warum, wieso, weshalb? Komplett egal, solange man laufend den Anweisungen der Stimme im Ohr folgt, um am Ende inhaltlich ein kleines und im Prinzip unbedeutendes Fragment aus der unmittelbaren Zeit vor Mirror’s Edge Catalyst erfährt.
Sportlich handelt es sich um ein moderates passives Intervalltraining, welches mit unterschiedlich langen Phasen herausfordert und gegen Ende hin doch aggressiver wird. Passiv aus dem Grund, da der Gedankengang hinter Story Running das unbewusste Beschleunigen und Bremsen zur gehörten Geschichte sowie viel mehr zum sich entsprechend der Phase anpassenden Musiktempo ist. Mein Resultat war 6,35 km und die Erkenntnis, dass das passive Intervalltraining bei mir nur bedingt bis eigentlich nicht funktioniert.
Manche Leser sind vielleicht etwas gelangweilt, denn was haben die oberen Absätze über eine Fitness-App auf einem Blog mit dem Fokus auf Videospiele sowie der Industrie dahinter zu suchen. Um ehrlich zu sein wenig. Genauso wenig hat das Experiment von Electronic Arts und Runtastic bei mir trotz optimaler Grundvoraussetzungen funktioniert. Die audioakustische Qualität während des Laufens war ausgezeichnet, die Struktur in Ordnung, die inhaltliche Abbildung von Mirror’s Edge Catalyst ist gefühlt genauso generisch wie laut Kritiken die Geschichte im Videospiel selbst und der letzte Kick meine Neugierde für den Titel erneut zu entfachen hat einfach gefehlt.
Was bleibt? Eine gute Idee am Papier, eine gute qualitative Umsetzung innerhalb der Runtastic-App, die jedoch vermutlich nicht die gewünschte Zielgruppe erreicht und diese noch weniger zum nächsten Schritt bringt. In Mirror’s Edge Catalyst dreht sich vieles um die Komponente des Laufens, jedoch reicht dieser Alibilink nicht um einen Läufer zum Videospieler zu machen. Auch nicht, wenn Interesse am Thema oder dem Titel selbst besteht, denn Experimente wie diese ersetzen leider keine nicht vorhandene Marketingkampagne.
Mirror‘s Edge Catalyst ist Anfang Juni 2016 für PC, PlayStation 4 und Xbox One erschienen und wechselt für etwa 60 Euro bei Amazon* den Besitzer. Fast zeitgleich wurde Runtastic Story Running um den Lauf ″Mirror‘s Edge Catalyst: A Runner‘s Destiny″ kostenfrei für alle Nutzer der Runtastic-App erweitert und kann aufgrund der Kooperation mit Electronic Arts von allen Läufern kostenfrei genutzt werden. Weitere Informationen zu Story Running und der Fitness-App aus Oberösterreich finden sich hier und dort. Und ein Hinweis in eigener Sache: Liebe Freunde von Runtastic! Wenn ihr mal wirklich über Gamifikation sprechen wollte, dann dürft ich euch gerne bei mir melden. Liebe Grüße aus der Nachbarschaft. Und ein zweiter Hinweis in eigener Sache: Liebe Freunde von Electronic Arts! Wenn ihr mal … ach vergesst es einfach.