Im November 2006, etwa ein Jahr nach dem Start der Xbox 360, wurde Gears of War veröffentlicht und bescherte Microsoft ein finanzkräftiges Halo Déjà-vu in der damals noch jungen Konsolengeneration. Mit je zweijährigen Abstand folgten zwei von Epic Games entwickelte Nachfolger und diese wurde mit dem üblichen Klimbim in Form von Romanen, Comics, Figuren, Aufklebern und Malbüchern begleitet. Der dritten Teil beendete den (bisher) erzählte Geschichtsstrang und die üblichen Themen kamen auf. Ein viertes Mal die selben Leute ran lassen? Im auslaufenden Konsolenzyklus einen neue Geschichte im selben Universum beginnen? Die finanziell erfolgreiche Serie bis zum Start der nächsten Hardwaregeneration ruhen lassen? Aus wirtschaftlicher Perspektive sind all diese Fragen zu verneinen. Das Resultat? Judgment, ein 15 Jahre vor dem ersten Teil spielendes Spin-Off, das in Polen von People Can Fly produziert wurde.
Ich bin ja nie wirklich warm mit der Gears of War Serie geworden. Den ersten Teil angefangen, diesen aber nach dem ersten Drittel liegen gelassen und mich gefragt wo darin die Faszination versteckt liegt. Den zweiten Teil spielte ich begeistert im Rahmen einer Presseveranstaltung an, die Spiel-DVD landete aber dann zu Hause auf meinem Pile of Shame der nicht fertig gespielten Spiele. Bekräftigt von den bisherigen Erfahrungen schaffte ich es den dritten Teil zu ignorieren und dachte das Kapitel zwischen Gears of War und mir beendet zu haben. Die Qualität der Spiele war und ist auf einem sehr hohen Niveau und auch dieses Immer-In-Deckung-Gehen war zumindest im ersten Teil eine interessante Spielmechanik. Der Spaß sich durch hübsche Schlauchlevel mit geschickt platzierten Gegnerwellen zu schießen eröffnete sich mir aber nie.
Die Grundvorausetzungen für Judgment waren nicht leicht und schrien förmlich nach dem Melken einer eierlegenden Wollmilchsau. Ein früherer Nebencharakter wird zur Hauptfigur und es wird eine Nebengeschichte erzählt, deren Ausgang bereits bekannt ist. Anstatt des Premium US Entwicklers werden in einer polnischen Pixelfabrik die Inhalte produziert, der erste Teil der Serie wird als Download Code beigelegt und eine Vorbesteller Aktion mit einem kostenlosen Xbox 360 Wireless Controller füllen die Klischee-Liste durchwegs effektiv. Alles Gründe um einen weiten Bogen um das Spiel zu machen und damit gleichzeitig der Grund, dass das Spiel in meiner Konsole landete. Warum? Umgekehrte Psychologie … wenn alle die ersten drei Teile gut und Judgment doof finden, dann ist Judgment wohl der Deckungsshooter für mich.
Nach drei Absätzen ist es wohl angebracht endlich zu meiner Einschätzung zu kommen und die lautet Schaf im Wolfspelz. Wenn man nur flüchtig hinsieht, dann sieht man ein klassisches Gears of War. Nach kurzer Zeit merkt man aber, dass es eigentlich kein Gears of War ist, sondern etwas anders, was sich nur als Gears of War tarnt. Da sind die Schlauchlevels, es gibt drei oder vier sehr hübsche Abschnitte, die üblichen Waffen, ein paar bekannte Gegner und man duckt sich munter durch die Levelschläuche. Anstatt den Spieler aber die Abschnitte spielen zu lassen wie er möchte, deutet People Can Fly den Mittelfinger an. Ähnlich wie bei Bulletstorm wird bei Judgment jedes Kapitel in etwa fünf Minuten kurze Häppchen unterteilt und es wird die die Leistung des Spielers mit bis zu drei Sternen beurteilt. Jeder dieser Abschnitte kann normal gespielt werden oder unter erschwerten Bedingungen wie eingeschränkter Sicht, sehr wenig Munition, der Limitierung auf spezielle Waffen, einem Zeitlimit oder spürbar schwereren Gegnern. Durch das Verlassen der eigenen spielerischen Komfortzone füllt sich die Sternanzeige deutlich schneller, wodurch allerlei rein optische Sachen für den Mehrspielermodus freigeschaltet werden. Der zusätzliche virtuelle Genitalvergleich mit Freunden in Form von Ranglisten unterstützt diese Spielmechanik und ist neben den Häppchen einer der Gründe, warum Judgment für mich persönlich das bessere Gears of War ist.
Die Geschichte ist trotzdem doof und ohne Substanz? Ja aber es hat wohl auch niemand die bisherigen Spiele aufgrund der Geschichte gespielt. Es ist übertrieben brutal und voller rotem Pixelblut? Absolut korrekt und eigentlich ein Grund für mich das Spiel doof zu finden. Es ist eine billige Ostblock Produktion? Ernsthaft? Die neutral betrachtete Qualität ist deutlich höher als was viele westliche Entwickler produzieren. Warum ich es bis zum Ende gespielt habe? Weil die Aufteilung in diese kleinen Herausforderungen und deren individuelle Bewertung sehr motivieren ist. Und Aftermatch sowie der Mehrspielermodus? Ersteres habe ich nach einer halben Stunde abgebrochen (zu viel Gears of War) und Zweiteres als durchaus unterhaltsam empfunden (liegt wohl daran, dass man nicht hunderte Stunden spielen muss um alle Waffen freizuschalten). Sollte man sich Judgment kaufen obwohl die Metacritic Bewertung nur bei etwa 80% liegt? Bullshit! Man sollte aufhören das zu spielen was andere gut finden und das spielen, was man selbst interessant finden könnte. Gears of War: Judgment ist kein klassisches Prequel zur Serie, es ist aber ein verdammt motivierendes und auch gutes Spiel, welches zum Glück nur so tut als wäre es Gears of War.
Gespielt wurde eine von Microsoft Österreich zur Verfügung gestellte Version. Gears of War: Judgment ist seit Ende März exklusiv für die Xbox 360 erhältlich und wechselt für faire 30 Euro den Besitzer (Amazon*).