Adapt Or Die

Der folgende Text wurde als Gastbeitrag für videogametourism.at geschrieben.

Das klassisch gedruckte Videospielmagazin ist vom Aussterben bedroht und obwohl wie immer die Unschuldsvermutung gilt, gibt es einen Hauptverdächtigen: das Internet. Schier unendlich viele Inhalte sind nur wenige Klicks von potenziell konsumfreudigen Käufern entfernt und im Gegensatz zu azyklisch auf toten Bäumen erscheinenden textlichen Massenabfertigungen sind diese Inhalte kostenlos, individuell, inhaltlich anregend und sofort von quasi jedem Ort abrufbar. Zeitgleich mit dem Erscheinen eines neuen Videospiels tauchen „Let’s Play“-Videos in einschlägigen Videoportalen auf, innerhalb weniger Stunden werden Texte online veröffentlicht und bis die Verfechter des digitalen Individualjournalismus in Blogs, Foren und auf YouTube ein Werk in seine Bestandteile zerlegt haben, dauert es meist nur ein paar Tage.

Die populistische Überschrift sowie der einleitende Absatz sollten für ein abwertendes Augenrollen bei den Verfechtern und Vertretern des gedruckten Videospieljournalismus ausreichend gewesen sein. Schon wieder schreibt ein Blogger, ein Onliner, ein Nachäffer der letztjährigen Causa Schmidt, ein selbsternannter „Individualjournalist“ in egozentrischer Manier über das Sterben des ebenso selbsternannten hochqualitativen Printjournalismus und nutzt dabei möglichst viele Fremdwörter in Kombination mit standardisierten Vorurteilen. Zum einen vermutlich, um klüger zu wirken, und zum anderen, um den Eindruck einer fundierten und qualifizierten Meinung zu hinterlassen. Ich gebe es zu: Im Gegensatz zu Christian Schmidt und seinen ehemaligen Kollegen habe ich nie Journalismus studiert, aufgrund fehlender einschlägiger Praxis keine fundierten Erfahrungen in Bezug auf qualifizierte Recherche, kann nichts über den fachlich korrekten Aufbau von Texten schreiben, die systematisch korrekte Aufarbeitung von komplexen Themen ist mir fremd und ich würde mich selbst trotz der Möglichkeit, online zu publizieren, nie selbst als Journalist bezeichnen. Dafür besitze ich wichtigere Dinge: (m)ein Bauchgefühl und meine Integrität, zwei Dinge die den Inhalt meiner Texte bestimmen, zwei Dinge die anscheinend bei Videospielmagazinen an Relevanz verloren haben und, um zu pauschalisieren: Ich bin offensichtlich nicht der Einzige der es so sieht.

185.080 Heftverkäufe, das sind 1.581.522 Leser, hat die PC Games, die selbsternannte „Pflichtlektüre für alle, die im Dschungel der PC-Spiele-Neuheiten den Überblick behalten möchten“, innerhalb von zwölf Jahren eingebüßt und ein kurzer Blick auf die Quartalszahlen anderer gedruckter Marktverlierer zeigt dasselbe desaströse Bild. Was hat ein Absatzrückgang von etwa 70 % zu bedeuten? Umsatzrekorde und die Erschließung zusätzlicher Zielgruppen durch die Adaptierung neuer Konzepte haben zwar stattgefunden, aber primär nur auf Seite der Videospielindustrie. Es ist nun ein Leichtes, eine These à la „Die Zielgruppe und Industrie entwickelt sich weiter, der gedruckte Videospiel-Journalismus nicht!“ in den Raum zu werfen und, was soll man sagen, die These stimmt.

In den letzten Jahren wuchs die Zahl der generischen, standardisierten und im Internet kostenlos verfügbaren Inhalte über das Medium Videospiele stetig und der Großteil der interessierten Kunden sieht einfach keinen Sinn mehr, zum gedruckten Magazin zu greifen. Ausnahmslos jeder hat mittlerweile die Möglichkeit, seine Eindrücke und Erfahrungen zu veröffentlichen und auch wenn Quantität nicht mit Qualität vergleichbar oder gar ersetzbar ist, bietet die Summe etlicher Beiträge ein deutlich breiteres sowie oft auch fundierteres Spektrum, als es ein Printmagazin mit einem klassischen Review aus der Schublade mit einer abschließenden zweistelligen Fantasiezahl bieten kann.

Videospiele unterhalten und wecken im optimalen Fall auch Emotionen in der Person hinter dem Eingabegerät, und Gleiches sollte auch für Texte über dieses Medium gelten. Wie Christian Schmidt in seinem letztjährigen Kommentar richtig fordert, gilt es Geschichten über Spiele zu erzählen, nicht Geschichte aus Spielen und auf gar keinen Fall nur technische Fakten herunterzubeten. Hinter jedem Videospiel stehen unzählige Personen, die oft mehrere Jahre ihres Lebens damit verbracht haben, dieses zu erschaffen. Das Medium und die Menschen dahinter verdienen es nicht, in standardisierten mit belanglosen Fakten angereicherter Form mit einer zweistelligen Zahl am Ende abgefertigt zu werden, sie verdienen mehr.

Das Schreiben über Games muss sich weiterentwickeln und sich den Bedürfnissen der Zielgruppe anpassen. Das Traurige daran ist, dass die Motivation im gedruckten Videospieljournalismus dafür offensichtlich nicht vorhanden ist, zumindest waren in den letzten Jahren merkbare Veränderungen praktisch nicht existent. Anstatt die Entwicklung des Individualjournalismus auf das Medium Papier zu übertragen oder gar das Medium zu erweitern, bleibt eine sich quasi selbst wegrationalisierende Branche lieber beim jahrelang „erprobten“ Muster.

Stattdessen wird zum Gegenangriff übergegangen: Dem Individualjournalismus wird fehlender sprachlicher Stil sowie mangelnde Objektivität angekreidet. Der jahrelang erprobte Gegenstil in Form einer Review-Vorlage wird als effektiver und einem schlicht technischen Produkt angemessen verteidigt. Wo liegt die Herausforderung ein Videospiel nach einem standardisierten Verfahren zu bewerten? Die vom Fachjournalismus verkaufte Objektivität ist in Wirklichkeit keine, es ist die subjektive Objektivität des jeweiligen Autors in einer ebenso standardisierten Ansammlung von Phrasen („Darf in keiner Spielesammlung fehlen“, „Langzeitmotivation“, „Spielspaßkurve“, „Endlich ist es soweit …“) und anstatt dem Leser die für die Entscheidungsbildung relevanten Informationen aufzubereiten oder zu begründen, wird die Entscheidung mittels einer Zahl vorweggenommen. Paradoxerweise steigt mit dem Festhalten an diesem verbissen verteidigten, technikzentrierten „professionellen“ Schreiben auch der Anteil an Praktikanten in den Reaktionen. Natürlich ist es lobenswert wenn junge Leute an das Medium tote Bäume in Hochglanzform herangeführt werden, aber es stellt sich die Frage, inwieweit das dort praktizierte „Testen“ etwas mit Journalismus zu tun hat, aber das ist eine andere Geschichte …

Der Printjournalismus im Bereich Videospiele ist schon lange kein Qualitätsjournalismus mehr. Musste man früher als Autor Fachwissen vorweisen und ein gewisses sprachliches Talent besitzen, so reicht es heute, möglichst leidensfähig und flexibel zu sein. Dass das nicht mehr genügt, ist bei den gedruckten Branchengrößen nicht so richtig angekommen: Sie wundern sich über sinkende Absatzzahlen bei zugleich steigenden Umsätzen der Videospielindustrie, kritisieren liebend gern die Kritik aus dem Internetu nd werfen böse Blicke in Richtung des im Internet stattfindenden Individualjournalismus. Das wird auf Dauer zu wenig sein.

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