Die dritte Augustwoche ist angebrochen und im Gegensatz zu den letzten neun Jahren werden diese Zeilen nicht in einem Zug, während der Wartezeit auf einem Flughafen oder in einem Hotel in Köln verfasst. Das Notebook steht an seinem vertrauten heimatlichen Platz und anstatt in persönlichen Anekdote zu schwelgen (gamescom 2011 Fazit) fällt die Gefühlsduselei aus und der numerische Nutzen der gamescom steht am Programm. Auch wenn es öffentlich anderes präsentiert wird sind die Spieler nur eine angenehme Randerscheinung der Messe, denn tatsächlich geht es darum die Absatzmengen für die in der Branche wichtige Holiday Season soweit wie möglich zu fixieren, aber alles der Reihe nach.
Trotz steigender Zahlen (Besucher, Fläche, Aussteller, Essensstände, Toiletten, …) haben sich dieses Jahr einige Größen der Branche entschlossen Köln nicht zu beeheren: THQ, Sega, Nintendo und auch Microsoft bleiben der Messe fern. Das sind vier der 13 Mitglieder des Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU), welcher Mitveranstalter und ideeller Träger der gamescom sein sollte ist. Der Grund oder das Problem liegt am Konzept einer Spielemesse mit öffentlichen Besucherverkehr, welches schlichtweg nicht mehr attraktiv ist. Die anfallenden Kosten sind zu hoch, der wirtschaftliche Nutzen zu gering und sind wir mal ehrlich, was bringt es im Bezug auf die Verkaufszahlen die dreunte Auflage von FIFA, Battlefield, Call of Duty, Halo oder dem Landwirtschaftssimulator zu präsentieren? Die Besucher der Messe kaufen die Spiele so oder so, also warum Unsummen von Geld für unnötige Präsentationen aus dem Fenster werfen?
Um die wirtschaftliche Sinnlosigkeit zu verstehen reicht es sich die Zahlen anzusehen und den Taschenrechner etwas zu bemühen. Grundlegend lässt sich die Messe in zwei Teile trennen, den Besucherbereich und den Fachbesucher- / Pressebereich. Die Messe positioniert sich selbst als Verkaufsplattform der Hersteller und Einkaufsplattform für Händler, die den öffentlichen Besucherbereich als Gradmesser für einen möglichen Verkaufserfolg anstehender Produkte nutzt. Die für Spieler mittlerweile üblichen Warteschlangen mit Anstehzeiten jenseits von vier Stunden sind zu einem Verkaufsargument mutiert und dienen zur Untermauerung des möglichen Verkaufspotentials einen Titels im Einzelhandel. Die Tatsache, dass man als Aussteller die Länge der Schlange bewusst planen kann, lassen wir einfach mal unter den Tisch fallen. Ein Schelm der Böses dabei denkt, wenn er in den nächsten Tagen Berichte über neue Warteschlangenrekorde liest oder sich selbst in einer solchen befindet.
Aber nun tatsächlich in die unterhaltsame Welt der Zahlen und dem Versuch sich von der Illusion der Effektivität einer Produktpräsentation im Besucherbereich der gamescom zu verabschieden. Im Gegensatz zu früher sind heutige Unterhaltungsprodukte komplexer und eine reine visuelle Darstellung funktioniert oft nicht mehr. Bei bewegungs- oder berührungsgesteuerten Spielen reicht das alleinige Zusehen nicht aus um potentielle Kunden zu überzeugen, vielmehr ist es das Ziel den möglichen Käufer selbst Hand anlegen zu lassen, damit er in kurzer Zeit ein hoffentlich positives Urteil über seine zukünftige Kaufabsicht fällt. Genau hier setzt die Überlegung an und analog den Kosten pro Klick bei Werbebannern im Internet sind die Kosten pro qualifizierter Anspielsitzung interessant.
EA als Beispiel hatte 2011 eine Ausstellungsfläche von etwa 1.600 qm was bei regulären Konditionen Mietkosten von 176.160 Euro verursacht. Die tatsächlichen Kosten liegen optimistisch geschätzt bei einem Faktor von Zehn und betragen unter Berücksichtigung einer Rabattierung zumindest in dieser Milchmädchenrechnung 1.500.000 Euro. Bei 350 Konsolen und Computern entfallen dadurch Kosten von etwas mehr als 4.285 Euro auf eine Station. Die qualifizierte Zeit um einen Kunden zu erreichen liegt bei etwa zwölf Minuten, wodurch pro Messetag (zehn Stunden) unter optimalen Bedingungen etwa 50 Spieler pro Station selbst Hand anlegen können. Über die gesamte Zeit addiert und als Divisor für die Kosten pro Station ergeben sich somit pro tatsächlichen direkten qualifizierten Kundenkontakt Kosten in Höhe von etwas mehr als 21,4 Euro. Ein stolzer Betrag und er vervierfacht sich wenn man bedenkt, dass geschätzte 50% der erreichten direkten Kundenkontakte auf Besucher entfallen, die bei AAA-Titeln bereits vor dem Anspielen eine positive Kaufentscheidung getroffen haben. Die restliche Hälfte teilt sich gleichmäßig in Kunden die hoffentlich überzeugt wurden und in Kunden die nicht überzeugt wurden.
Milchmädchenrechnung? Vielleicht, aber tendenziell sind die Gesamtkosten unter Berücksichtigung der höheren Kosten in Köln sowie der stetig steigenden Inflation meiner Meinung nach noch zu gering angesetzt. Leider geizen die Firmen mit aktuellen Zahlen, aber realistisch betrachtet ist der öffentliche Bereich der gamescom wirtschaftlich für die Aussteller höchst unrentabel. Jegliche Argumente mit Medienwirksamkeit sind ebenso irrelevant, da die Anzahl der zusätzlich verkauften Spiele aufgrund eines Fernsehbeitrags / Artikels / Blogposts über Warteschlangen beim drelften Nachfolgers der XY Serie minimal bis praktisch nicht von Relevanz ist.
Die sogenannte entertainment area der gamescom dient rein zur Bespaßung der Besucher, welche als Pseudolockmittelargument der Messeveranstalter dienen. Einige Unternehmen verstehen dies langsam aber sicher und ziehen sich daher wohl auch zurück. Das aktuelle Konzept der gamescom basiert auf einem Auslaufmodell und der Höhepunkt des Zenits wird wohl dieses Jahr erreicht. Die Branche entwickelt sich glücklicherweise weiter und setzt zukünftig mit relativer Sicherheit vermehrt auf kleinere lokale Events oder direkte Fanveranstaltungen wie die Call of Duty XP, die Blizzcon oder zum Beispiel die Xbox Summer Party in Österreich. Aber noch ist der Schritt nicht komplett vollzogen und spätestens am Sonntag nachdem die letzte Tür am Messegelände verschlossen wurde folgt eine Pressemeldung gefüllt mit neuer Fantasiezahlen und neuen Rekorde. Let’s Play The Number Game Again And Again!
Disclaimer: Es wurden keine Zahlen genutzt, zu denen ich während meiner Tätigkeit für EA (2004 bis 2008) Zugriff hatte. EA hat im Vergleich zu vielen anderen Ausstellern einen sehr komplexen Stand, wodurch die Kosten deutlich höher liegen. Die Messe Köln beziffert den Faktor Standmiete zu tatsächlichen Kosten mit dem Wert 5, welcher jedoch meiner persönlichen Erfahrung nach deutlich zu tief angesetzt ist. Der Faktor 10 ist eine Mischkalkulation aus dem Faktor 5 der Messe und dem von mir als realistisch eingestuften Faktor 15.
Ein Kommentar zu „Let’s Play The Number Game – gamescom Edition“
Kommentare sind geschlossen.