Bereits vor einiger Zeit hat mich der Nachfolger / zweite Teil / inhaltliche Prolog zum im Jahr 2000 erschienenen und von den Kritikern in höchsten Tönen gelobten American McGee’s Alice beschäftigt und selten war mein Eindruck so zwiegespalten. Obwohl ich mittlerweile eigentlich gar keine Erwartungen an Neuerscheinungen mehr habe, war es dieses Mal anders. Meine Erwartungshaltung war (zu) hoch und obwohl ich den damals nur am PC veröffentlichten Vorgänger nicht gespielt habe, freute ich mich auf ein paar unterhaltsame Einzelspielerstunden in einem psychisch kranken Wunderland.
Die vom Entwickler Spicy Horse kreierte Welt verdient das Attribut krank und dies ist vermutlich noch eine Untertreibung. Das Dargebotene hat wenig gemeinsam mit der von Lewis Carroll erdachten Vorlage und es scheint fast so, als ob das Grafikdesign aus der Feder des genialen Tim Burton stammt. Das Wunderland ist einfach einzigartig und auch die dort lebenden Gestalten sind trotz zum Teil auftretender Ekelgefühlen passend, wenn nicht gar liebevoll zum Leben erweckt worden. Neben den im Kopf von Alice stattfindenden Wunderlandabschnitten bereist mein kurze Zeit auch das vernebelte London, welches durch die von der Farbe Grau inspirierte Farbgebung ein stark bedrückendes oder sogar beklemmendes Gefühl erzeugt. Der Wechsel zwischen den beiden Welten wird von Comic-ähnlichen Zwischensequenz begleitet, die sich trotz Stilbruchs nicht als ein solcher anfühlen.
So ansprechend der optische Stil auch sein mag, Madness Returns hat massive Probleme in allen anderen Bereichen und eigentlich noch weit darüber hinaus. Prinzipiell bin ich hart im nehmen und spiele so manch eher unkreatives Spiel bis zum bitteren Ende, aber hier ging es einfach nicht und ich musste nach etwa zwei bis drei Stunden meinen Wunderlandausflug beenden. Es ist schwer zu erklären warum, aber ich würde folgende Begriffe dafür verwenden: Unkreativ, Langatmig und Nicht Fordernd!
In 3D Jump & Run Manier hüpft man mit Alice von Plattform zu Plattform und legt mal hier mal da einen Schalter um oder beschießt Zielscheiben um sich seinen Weg durch die streng schlauchigen Levels zu bahnen. Zwischendurch tauchen immer wieder mal Gegner auf, die man mit den zur Verfügung stehenden Waffen aus dem Wunderland rausbefördert um kurz darauf die nächsten Sprungsequenzen und Kämpfe zu absolvieren. Mehr Gameplay wird nicht geboten und innerhalb kürzester Zeit fühlt man sich wie ein Industrieroboter, der immer die gleichen Tasten drückt, um sich fast gleichende Sequenzen immer und immer wieder zu absolvieren. Zum Start sind die Plattformen Spielkarten und im nächsten Level sind es Eisflächen, aber es bleiben immer nur Plattformen …
Schnell merkt man auch, dass es eigentlich keinen Grund gibt weiterzuspielen. Die Hintergrundgeschichte greift nicht wirklich und auch das klare Ziel vor Augen fehlt irgendwie. Gepaart mit der Tatsache, dass die Level für den dargebotenen Inhalt und der fehlenden spielerischen Abwechslung künstlich stark in die Länge gezogen wurden, fällt mir spontan erneut die Metapher des Industrieroboters ein. Das Wunderland soll die gequälte Seele der jungen Hauptfigur wiederspiegeln, aber selten war mir die Gefühlslage einer Spielfigur dermaßen egal. Trotz eigentlich passender Darstellung werden die Gefühle zu oft mit der direkten Keule vermittelt und dem Spieler soll möglichst das Nachdenken sowie Mitfühlen abgenommen werden. Das funktioniert bei mir zumindest nicht, denn ich will mit der Figur gemeinsam wachsen und Erfahrungen sammeln, denn die hier mit Frontalunterricht vergleichbare Methode funktioniert nicht. Neben dem Hüpfen und Kämpfen wird ebenso versucht die Sammelleidenschaft mit Zähnen anzusprechen (die zum Kauf von Waffenupgrades verwendet werden können), aber so eine richtige Sammelwut will einfach nicht aufkommen.
Und dann ist da noch der nicht vorhanden Schwierigkeitsgrad. Ich selbst bin zwar kein Fan von bockschweren Spielen, aber die Damen und Herren aus China gehen hier zu weit. Es ist zwar schön, wenn der Spieler an der Hand genommen wird, aber im Wunderland nimmt dies merkwürdige Ausmaße an. Geheimwege werden de facto mit leuchtenden Pfeilen gekennzeichnet und auch die am Ende zu erwartende Belohnung wird überdeutlich schon am Start kommuniziert. Durch die überdeutlichen Fingerzeigs wird jegliche Suchfreude im Keim erstickt, da man durch die heilenden violetten Blumen förmlich dazu gezwungen wird diese „versteckten“ Hinweise zu konsumieren. Einzig die fliegenden Schweinsnasen stellen eine gewisse Herausforderung dar, aber aufgrund der popeligen Belohnung in Form einer Handvoll Zähne verzichtet man ohnehin schnell auf die Suche. Die freischaltbaren Goodies in Form von Konzeptzeichnungen bieten ebenso wenig Motivation, denn mittlerweile sollte sich die Existenz von deviantART auch bei Spieleentwicklern herumgesprochen haben.
Zu diesen Mängel gesellen sich dann noch die technischen Komponenten, wie die schon in die Jahre gekommene optische Darstellung oder die oft praktisch nicht vorhandenen Animationsphasen von Alice (Beispiel: das Haar ist wunderschon animiert, aber für Drehungen der Hauptfigur gibt es gar keine Animation). Alle Komponenten wirken lieblos zusammengestückelt und die Lobhudelei von American McGee auf die kostengünstige Produktion durch Outsourcing nach China erzeugt im Nachineinen einen mehr als fahlen Beigeschmack.
So gerne man Alice: Madness Returns auch lieben möchte, so schwer wird es einem gemacht. Zu viel kreatives Potential wurde billig verschenkt und im Endeffekt bleibt leider nicht mal ein unkreativer Mainstreamtitel zurück. Einzig die beiliegende digitale HD Kopie des Originals sorgt für etwas Freude, aber dafür kauft wohl niemand einen Vollpreistitel und eine Veröffentlichung als Xbox LIVE Arcade Titel oder Playstation Network Spiel wäre sinnvoller und vermutlich auch lukrativer gewesen. Sollte jemand trotz aller Kritik gerne das Gefühl der Selbstquälung erleben wollen, dann kann man für etwa 60 Euro bei Amazon* zugreifen und leidet im wahrsten Sinne des Wortes gemeinsam mit Alice.