Also ich bin kein Streamer in dem Sinn, wobei eigentlich doch, aber am Ende ist es dann doch etwas anderes in der Art. Meine Ausgangssituation und grundlegende Motivation ist im Prinzip relativ einfach. Ich besitze eine Videospielkonsole mit der integrierten Möglichkeit auf den beiden Plattformen Twitch sowie Mixer zu streamen, mein Internetzugang ist schnell genug um eine Übertragung der am Fernseher dargestellten Inhalte in brauchbarer Qualität zu ermöglichen, immer öfter konsumiere ich passiv Videospiel-Streams als Hintergrundrauschen während ich am PC arbeite und ich bilde mir ein, dass ich über die letzten Monate die Faszination hinter dem Thema Streaming besser verstanden habe als andere Trends der Videospiel-Industrie der letzten Jahre. Meine Motivation? Ein Streamer zu sein kann doch eigentlich im Jahr 2019 nicht so schwierig sein. Deswegen habe ich für mich beschlossen ein Experiment zu starten. Vor ein paar Wochen habe ich entschieden ein Streamer auf Twitch für zumindest drei Monate zu werden. Die ersten zwei der drei Monate sind nun vorüber und es ist gefühlt an der Zeit für mich den Status quo sowie die bisherigen Erkenntnisse meines Selbstexperiments zu Papier zu bringen.
Obwohl es für mich nicht das erste Mal war, dass ich mich mit der Technik zum Streamen von Videospielen beschäftigt habe, war ich mehr als positiv überrascht wie einfach und nicht aufwändig es mittlerweile ist den Inhalt des Fernsehers, seine Stimme und ein mit einer Webcam aufgenommenes Videobild von sich selbst auf Twitch zu bringen. Es reicht das Zubehör mittels USB an die Videospielkonsole anzustecken, ein Headset mit dem Controller zu verbinden und am Ende in einer installierten App die Übertragung samt gewünschter Einstellungen zu starten. Der zeitliche Aufwand liegt bei unter fünf Minuten, das technisch erforderliche Wissen geht Richtung Null und das Resultat stufe zumindest ich als solide Basis für den Anfang ein. Selbiges gilt auch am PC, denn dank angepasster Anwendungen der Streaming-Plattformen in Kombination mit dem Handy zur Steuerung ist die Einstiegshürde realistisch betrachtet nicht mehr vorhanden. Aus dieser Perspektive hat sich meine ursprüngliche Annahme bestätigt, es ist 2019 definitiv nicht schwierig etwas technisch Vernünftiges auf die Streaming-Plattformen zu bringen.
Aber damit endet im Endeffekt auch schon wieder die Sache, denn so einfach die technische Basis auch ist, die restlichen Elemente sind es nicht und je weiter man den Gedanken in Richtung Streamer als Alternative zu einem derzeit üblichen klassischen Job spinnt, desto inhaltlich verrückter und wahnsinniger wird es aus den unterschiedlichsten Gründen. Gründe, die ich in meinen zwei Monaten im Kleinen erleben konnte. Gründe, die meine Meinung über Streamer sowie das Thema nachhaltig geändert haben. Gründe, die mir dann auch irgendwie Angst machen, Sorge bereiten und eine für mich bis vor kurzem unbekannte Perspektive auf einen kleinen Teil der Videospiel-Industrie eröffnet haben.
Eines der ersten Dinge, die ich selbst schmerzhaft erlebte, war, dass sich die Anzeige der aktuellen Zuseher laufend ändert. Grundlegend ja nichts Ungewöhnliches oder Negatives, jedoch war es in meinem Fall die sich stetig wiederholende Änderung von keinem auf einen Zuseher und relativ rasch wieder zurück zu keinem Zuseher. Kein gutes Gefühl, denn man bemüht sich ja dennoch etwas, steckt Energie in die Sache, nutzt eine große Plattform wie Twitch und am Ende streamt man vereinfacht formuliert für sich selbst. Ein verdammt schlechtes Gefühl, welches auch irgendwie demotivierend ist, denn auch beim zweiten Stream hat sich nichts daran geändert. Es reicht also nicht einfach die Technik zu meistern und Inhalte zu liefern, man benötigt auch Zuseher und obwohl die Reichweite und die Kennwertzahlen von Twitch groß sind, ist man am Ende nur ein Streamer unter vielen Streamern. Ich startete daraufhin die Eigenwerbung auf von mir bereits genutzten Plattformen wie Twitter, dem sozialen Feed der Videospielkonsole, in verschiedenen Gruppenchats auf Telegram und beteiligte mich ebenso aktiv im Chat anderer Streamer auf der Plattform. Die Maßnahmen wirkte und mittlerweile folgen meinem Streaming-Profil etwa ein Dutzend Leute, meine Streams werden von bis zu einer Handvoll Zusehern gesehen und im Chat schreiben einige Personen, wodurch endlich die erhoffte Freude bereitende wechselseitige Interaktion während der Übertragungen möglich ist.
Es folgte das Unvermeidbare und nach dem initialen kleinen Erfolgserlebnis stürzte ich mich tiefer in die Thematik und langsam eröffnete sich mir ein für mich bis dato unbekanntes Ökosystem zur weiteren technischen Verbesserung des Streams, verschiedener Zusatzanwendungen sowie Bots um die Streams automatisiert inhaltlich interaktiver zu gestalten als auch aufzuhübschen und auch Strategien um mehr Zuseher zu bekommen. Manches davon frei zugänglich und kostenlos, vieles davon war aber mit zusätzlichen Kosten verbunden. Einige Unternehmen hab sich mittlerweile darauf spezialisiert animierte und interaktive Grafiken für Einblendungen zu verkaufen sowie umfangreiche PDF-Dateien mit detaillierten Strategien werden genauso wie stundenlange Trainingsvideos gegen Bezahlung angeboten. Die Suche bei Internet-Händlern spuckte zusätzliche Videokarten zur optimierten Bereitstellung des Videosignals, speziell programmierbare Tastenfelder zur einfacheren Interaktion mit Zusehern, optimierte Mikrofone samt Rauschfilter als auch Montagemöglichkeiten, alle möglichen Lichtquellen in allen erdenklichen Ausführungen und auch mobile zusammenrollbare Greenscreens als Hintergrund aus. Überspitzt vereinfacht eine eigene kleine Industrie um eine nüchtern betrachtet ziemlich kleine Zielgruppe zu bedienen. Eine Industrie, die zumindest auf den ersten Blick wirtschaftlich zu funktionieren scheint und in welcher man als Streamer problemlos mehrere hunderte bis tausende Euro ausgeben kann um jeden erdenklichen Aspekt weiter zu optimieren und zu verbessern. Die Auswahl, die Möglichkeiten und der Umfang waren am Ende teilweise erdrückend und für mich schon fast zu viel.
Was ich für mich bei meinem Ausflug in diesen Kaninchenbau mitgenommen habe war, dass ich einen vereinfachten Ansatz wähle und neben einer minimalen Aufhübschung meines Profils sowie des Streams relativ zeitnah auch ein inhaltliches Konzept brauchte. Am Ende habe ich dabei für mich entschieden, dass ich fixe für mich planbare sowie für Zuseher bekannte Termine für meine Streams brauchte, eine gewisse Diversität der gespielten Videospiele um unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen und vielleicht auch thematisch zusammenhänge Streams. Seither streame ich jeden Mittwoch sowie Sonntag um 19 Uhr für je zwei Stunden, übertrage inhaltlich einen bunten Mix zwischen großen Blockbuster-Produktionen und auch kleineren Indie-Titeln. Relativ einfach auf den ersten Blick, aber immer mehr stellte ich fest, dass das Verwalten und Beschäftigen mit meinem Selbstexperiment immer mehr Zeit in Anspruch nimmt und auch wenn mir sowohl das Streamen als auch die Thematiken darum Spaß machen, war ich zunehmend verwundert über die erforderliche Energie die ich in das Thema steckte und auch irgendwie stecken musste, also zwecks des Selbstexperiments.
Der Gedanke hinsichtlich der erforderlichen Energie ist auch bei mir hängen geblieben und hat mich immer mehr zum Nachdenken angeregt. Mein selbst bestimmtes Konzept beinhaltet wöchentlich zwei Streams mit einer Dauer von je zwei Stunden. Die Vorbereitung, die Durchführung sowie die Nachbearbeitung in Form einer Prüfung der Statistiken ist mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen und die weitere Verbesserung ist ein stetiger Prozess. Es ist aber ein persönlicher Aufwand und einiges an Zeit die erforderlich ist, um die Anzahl der Zuseher zu steigern. Ein ebenso nicht zu unterschätzender Aspekt ist bei einer Regelmäßigkeit, dass es sich bei solchen Streams am Ende um Unterhaltung handelt und die Zuseher gekommen sind, um entsprechend vom Streamer auch unterhalten zu werden. Klingt nicht unlogisch und klar, ist aber eher bescheiden, wenn man selbst an einem solchen Tag einfach keinen so wirklich guten Tag hatte oder vielleicht schlichtweg keine Lust auf Videospiele oder irgendwas hat. In meinem zeitlich limitierten Selbstexperiment kein Riesenthema, denn im Zweifel streame ich schlichtweg nicht. In einem Szenario in welchem das Streamen zu einem Job geworden ist, ist das ein großes und wie mir vorkommt oft unterschätztes oder auch totgeschwiegenes Thema.
Dann sind es nämlich nicht nur zwei Streams pro Woche, sondern gleich mal fünf bis sieben Streams die Woche. Aus zwei Stunden pro Stream werden vier bis sechs Stunden, um Zuseher zu erreichen und um wachsen zu können. Es ist ein Ringen um Aufmerksamkeit, es ist ein Kampf um zu Unterhalten und auch wenn dies Spaß machen kann, so kann es auch anstrengend, kräfteraubend und nervig sein. Damit aber nicht genug. Wenn man den Gedanken weiterspinnt und wenn Streamen zum Job und dadurch zur Einnahmequelle geworden ist, dann gilt es die eigene Leistung hinsichtlich Unterhaltung auf einem hohen Level zu halten. Die Zuseher wollen unterhalten werden, die Zuseher bezahlen mit kostenpflichtigen Abonnements sowie Geldspenden für diese Unterhaltung und das zuvor erwähnte Ringen um Aufmerksamkeit erreicht dadurch eine zusätzliche neue Dimension, nämlich den Druck genug Einnahme in einem Monat zu generieren um das nächste Monate davon leben zu können. Es ist wohl für die meisten Streamer eher ein konstanter Druck um überleben zu können, ein Druck um stetig sowie immer zu Unterhalten und gleichzeitig eine permanente Ungewissheit wie die eigene Zukunft aussieht. Der Trend und Hype der Streaming-Plattformen kann in ein paar Monaten durch den nächsten Trend abgelöst werden, die Bindung an eine Plattform kann aufgrund einer falschen Entscheidungen oder schlichtweg einen menschlichen Fehler in Form zum Beispiel einer Sperrung von heute auf morgen zu einer existentiellen Krise werden und die dauerhafte psychische Belastung der immer gut gelaunte Unterhalter für eine im Prinzip unsichtbare Menge an Zusehern zu sein, ist langfristig aus meiner Perspektive nicht zu unterschätzen. Dinge, die ich nicht am eigenen Leib erlebt habe in meinen bisher zwei Monaten als Streamer. Dinge, die ich aber in den zwei Monaten verstanden habe und die mir erst durch meine Erfahrungen während dieser Zeit so wirklich bewusst geworden sind. Dinge, die mir vor wenigen Wochen noch nicht bewusst waren und die nachhaltig meine Meinung zum Thema Streamen geändert als auch geprägt haben. Ein Streamer zu sein ist im Jahr 2019 nicht schwierig. Das Streamen als Job im Jahr 2019 zu haben ist im Gegensatz unheimlich schwierig, sowohl aufgrund des Aufwands, dem Risiko und der Belastung der man sich selbst aussetzt. Und weswegen? Um ein Unterhaltungsprodukt in einer von Unterhaltung getriebenen Videospiel-Industrie zu sein. Ich werde mein Selbstexperiment die nächsten Wochen noch fortsetzen und weiterhin auf Twitch streamen. Ob aus dem Experiment etwas Dauerhaftes wird? Ehrlicherweise aus aktueller Sicht für mich schwierig zu beantworten, aber wenn dann definitiv ohne kommerzielle Komponente und mit reduzierten bis nicht vorhandenen persönlichen Ambitionen und nur rein des Spaßes sowie der Freude wegen.