Virtual Reality, kurz VR, geistert seit einigen Jahren durch die Technologieindustrie. Nach der ersten Hype‑Phase und der darauffolgenden Ernüchterung nimmt das Thema erneut an Fahrt auf. Im Prinzip der normale Zyklus für eine neue Technologie, die aus heutiger Sicht das Potential hat im besten Fall vom Massenmarkt angenommen zu werden oder im schlechtesten Fall als Nischenthema überleben könnte. Entweder wird VR unheimlich groß oder unheimlich irrelevant, wirklich sagen kann man es erst in ein paar Jahren. Die Menge an möglichen Anwendungsfällen ist groß und gedanklich sind die Bereiche VR und Videospiele eine spannende Kombination, welche deutlich intensivere Spielerfahrungen als bisher ermöglicht. Dies hat auch die Videospielindustrie erkannt und arbeitet seit einiger Zeit an Technologien, Konzepten und Ansätzen um möglichst früh ein möglichst wichtiger Teil einer möglichen Zukunft des Mediums Videospiele zu sein. Begrüßenswert und für eine gefühlt seit Jahren träge Industrie auch wünschenswert, wenn da nicht diese eine große Sache mit der Fragmentierung wäre.
Aufgrund der Tatsache, dass VR aus technologischer Sicht nicht neu ist, ergibt sich die Ausgangslage, dass mehrere Hardwarehersteller entsprechende VR-Brillen entwickeln und diese im Laufe des Jahres auf den Markt bringen werden oder bereits gebracht haben. Eine VR-Brille besteht stark vereinfacht aus zwei Bildschirmen, einigen optischen Linsen und etlichen Sensoren. Durch die räumliche Nähe der Bildschirme zu den Augen, der korrekten Berechnung zweier perspektivisch leicht versetzter Bilder und der passenden Blickwinkeländerung durch die Bewegung des Kopfes, entsteht die Täuschung einer gefühlt realen aber natürlich rein virtuellen Welt für den Träger der VR-Brille. Die für Videospiele im klassischen Sinn relevanten Produkte hier sind Oculus Rift vom Facebook-Tochterunternehmen Oculus, HTC Vive auf Basis von SteamVR aus dem Hause Valve sowie HTC und PlayStation VR von Sony für die im Namen enthaltene Videospielkonsole. Konkurrenz belebt in der freien Wirtschaft im Regelfall den Markt, führt jedoch im Fall von VR zu problematischen Kompromissen.
Alle drei VR-Brillen decken die Basisfunktionen von Virtual Reality ab und bieten entsprechende Eingabemöglichkeiten, jedoch haben sie unterschiedliche technische Spezifikationen und auch unterschiedliche Funktionen, die aus Sicht des jeweiligen Herstellers die optimalere VR-Erfahrung bieten sollen. PlayStation VR bietet den günstigsten Einstieg und benötigt als Basis eine PlayStation 4 sowie entsprechendes Zubehör bei im Vergleich zum PC reduzierter Leistung, HTC Vive ermöglicht die begrenzt freie Bewegung im Raum mit Hilfe von zwei zusätzlichen Raumsensoren und Oculus Rift versucht den sitzenden Videospieler mit einer möglichst großen Plattform-Kompatibilität überall zu erreichen. Die VR-Hersteller bewerben erwartungsgemäß mit voller Kraft die Vorzüge des eigenen VR-Systems, jedoch was machen Spielehersteller die den Spagat zwischen Kosten, der möglichen Zielgruppe und Funktionen absolvieren müssen. Kein Fragezeichen am Ende des letzten Satzes, weil die Antwort immer im Prinzip ein Kompromiss sein muss. Anstelle speziell für eine der drei VR-Plattformen zu entwickeln und die dortigen Funktionen bestmöglich zu unterstützen, werden Videospielhersteller wie Ubisoft, Electronic Arts oder Activision den primären Fokus auf die von allen unterstützen VR-Basisfunktionen legen, um mit möglichst geringen finanziellen Aufwand möglichst viele Videospieler zu erreichen. Wirtschaftlich aus Sicht des Videospielherstellers verständlich, für den Videospieler jedoch eine unangenehme indirekte Reduzierung der vorhandenen Funktionen des teuer angeschafften VR-Systems.
Das Schlimme daran ist jedoch, dass diese Reduzierung auf die VR-Basisfunktionen vermutlich noch das schönste Szenario ist. So sehr ich mir persönlich auch das Gegenteil wünsche, ich befürchte den Eintritt des Kinect-Effekts, der der Start einer wirtschaftlichen Todesspirale für VR im Bereich von Videospielen sein könnte. Als Microsoft für die Xbox 360 die Bewegungssteuerung mit Hilfe des Kinect-Sensors als neuen Standard definieren wollte, scheiterte der Konzern gnadenlos. Nicht aufgrund der Limitierungen und technischen Eigenheiten von Kinect, sondern am Umstand, dass der Kamera-Sensor kostenpflichtiges Zubehör war und trotz anfänglich guter Verkaufszahlen nie die kritische Masse an Kunden erreichen konnte. Videospielhersteller wurden vor die Entscheidung gestellt ein in der Produktion teures Videospiel für die deutlich kleinere Zielgruppe an Videospielern mit Kinect-Sensor zu entwickeln oder ein Videospiel für alle Inhaber der Xbox 360 sowie meist auch für die PlayStation 3. Gleichzeitig warteten viele Videospieler ohne Kinect auf entsprechende Videospiele, die den Kauf des Sensors rechtfertigen würden. Aus Videospielen mit einem starken Fokus auf Kinect wurden nach und nach Videospiele mit einigen Funktionen oder Zusatzinhalten für den Kamera-Sensor, wodurch wiederum die Videospieler wenig Motivation hatten sich Kinect in die eigenen vier Wände zu holen. Eine Wechselwirkung die zum raschen wirtschaftlichen Tod des Sensors geführt hat und im Prinzip mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch die VR-Systeme treffen könnte. Auch wenn die Basisfunktionen von Virtual Reality plattformübergreifend sind, wird die mögliche Zielgruppe nicht so schnell so groß sein, dass die Videospielhersteller alles auf eine Karte setzen werden und vermutlich nach einigen vorsichtigen Versuchen das eigene VR-Engagement ähnlich wie damals beim Kinect-Effekt reduzieren werden.
Neben der Fragmentierung durch die unterschiedlichen Hardware-Modelle und der Fragmentierung durch den Umstand von VR-Brillen als Zubehör, kommt noch die Fragmentierung durch die möglichen Videospiel-Genres hinzu. VR eignet sich optimal für Rennspiele oder Flugsimulatoren, jedoch weniger für Strategiespieler oder First-Person Shooter. Soweit verständlich, bis auf die First-Person Shooter, da sich diese in der Theorie optimal eignen würden und in Hinblick auf die Spielperspektive der Unterschied zu Rennspielen nicht so groß ist. Das Problem ist jedoch die Immersion, denn durch VR fühlt man sich so stark in die virtuelle Welt versetzt, dass für viele die Spielerfahrung, wenn man von Gegner angefallen, gefressen oder erschossen wird, tendenziell nur schwer ertragbar ist. Aber unabhängig von diesem Umstand, werden niemals alle Videospiel-Genres optimal für VR sein, wodurch sich für mögliche Käufer zwar auf einer anderen Ausgangslage, aber im Prinzip erneut, die beim Kinect-Effekt beschriebene Gretchenfrage bezüglich möglicher VR-Videospiele stellt.
Virtual Reality ist heute aus technischer Sicht eine spannende Technologie, die auch funktioniert. Jeder der eine VR-Demo mit einem der zuvor angeführten VR-Systeme am eigenen Leib erlebt hat, versteht die Faszination hinter der Brille mit den Bildschirmen, Linsen und Sensoren. Virtual Reality für Videospiele ist aus heutiger Sicht ein interessantes Gedankenspiel, welches jedoch aufgrund der schwierigen Ausgangsituation vermutlich in der aktuellen Videospielkonsolen-Generation keinen nennenswerten Erfolg im Massenmarkt haben wird und wohl als Nischenthema noch ein paar Jahre sein Dasein fristen muss.