Videospiele werden von Jahr zu Jahr schöner, umfangreicher und besser. Das Risiko ein wirklich schlechtes Videospiel beim blinden Griff ins Regal zu erwischen war vor einem Jahrzehnt noch deutlich höher als heute, heute ist das Risiko ohne Wertung von Updates am Tag der Veröffentlichung nur mehr minimal. Einstiegshürden und Frustfaktoren sind im Vergleich zu früher ausgebügelt, die Spielmechanik auf Spaß perfektioniert und wenn vom Spieler gewünscht, kann man sich oft problemlos über 100 Stunden in einer gefüllten funktionierenden Spielwelt verlieren und sich dabei bespaßen lassen. Eine Beschreibung die auf Far Cry 4 passt, einem mit Höchstwertungen abgefeierten Open-World-Sandbox-Shooter des letzten Jahres. Eine Beschreibung die nicht auf Halo: Combat Evolved passt, einem ebenfalls mit Höchstwertungen abgefeierten klassischen linearen Shooter, der zwar das Genre vor 13 Jahren auf Konsolen neu definierte, aber aus heutiger Sicht spürbare Problembereiche hat.
Far Cry 4 ist frisch und neu, als auch verstehe ich die Spielmechanik sowie die Motivation dahinter. Selbiges gilt für Halo: Combat Evolved, ausgenommen der Frische und dem Neu-Faktor, denn das erste Abenteuer des Master Chiefs zeigt nach mehr als einem Jahrzehnt sowie der erst kürzlich und gefühlt siebten Wiederveröffentlichung deutliche Abnutzungsspuren. Dennoch dreht sich die Spieledisc von Halo in meiner Konsole fast täglich, während die Spieledisc von Far Cry 4 in einer Hülle zwischen anderen im Regal wartet. Warten auf später, später wenn es passt und genügend Zeit dafür da ist. Zumindest rede ich mir dies ein, denn vermutlich wird es bei meinem etwa dreistündigen Ausflug in die Spielwelt von Far Cry 4 bleiben. Aber warum macht mir ein 13 Jahre altes und aus heutiger Sicht nur bedingt optimiertes Spiel mehr Spaß als ein aktuelles Spiel? Nein, es sind nicht nostalgisch verträumte Erinnerungen, ich denke es ist Lebenserfahrung.
Der britische Autor Douglas Adams hat im Sammelband Lachs im Zweifel* drei Regeln für die Reaktion von Menschen auf Technologie festgehalten. Adams schreibt, dass alles was zum Zeitpunkt der Geburt existiert als normal angesehen wird und als selbstverständlich in Bezug auf die Funktionsweise unserer Welt sowie unseres Lebens gilt. Neuerungen die zwischen dem Alter von 15 bis 35 entstehen sind spannend, revolutionär und können mehr oder weniger problemlos in das eigene Leben integriert werden. Alle Neuerungen und Änderungen nach der Altersgrenze von 35 Jahren werden prinzipiell als unnatürlich und als Gegensatz zur normalen Funktionsweise der Welt und Menschheit angesehen. Drei Regeln die das Leben in vereinfacht drei Abschnitte unterteilen und auch wenn dieses Regelwerk ursprünglich einen Bezug zum Thema Technologie hat, ist es meinem Empfinden nach auch auf das Medium Videospiele anwendbar, zumindest für mich.
Motiviert durch die Ähnlichkeit zum PC und meinem Unwillen alle paar Monate in neue Hardware zu investieren, habe ich kurz bevor ich 18 Jahre alt wurde eine Original Xbox und Halo: Combat Evolved gekauft. Meine Spielerfahrung in den Jahren zuvor war vom Shooter-Genre am PC geprägt und der Gedanke ein System mit einem ähnlichen Spieleangebot wie vorher zu haben, war reizvoll. Ich habe Halo gespielt, es als gut empfunden, habe aber damals, vermutlich aufgrund meiner spielerischen Vergangenheit am PC, es weder als revolutionär, noch als wegweisend empfunden. Es folgte das Kennenlernen der Vorzüge von Konsolen, dem Entdecken von für mich neuen Genres und dem Erkennen des Unterhaltungsfaktors von Onlinepartien auf Xbox Live. In den folgenden Jahren probierte ich vieles aus, jede Neuerung wurde quasi wertfrei innerlich befürwortet und es entstand fast schon ein Zwang immer sofort vorne dabei sein zu müssen. Ein Drang der sich damals als neuer Standard für mich einstellte.
Letztes Jahr hatte ich meinen dritten runden Geburtstag, ich wurde 30. Und genau an diesem Stichtag ist etwas passiert, nämlich nichts. Es ist aber etwas in den Jahren zuvor und in den Monaten danach passiert, das Medium Videospiele hat sich so wie in den Jahrzehnten zuvor weiterentwickelt und so auch ich. Meine Wahrnehmung, das Empfinden und die Wertschätzung von Zeit haben sich verändert, eine gewisse Stabilität hat Einzug gehalten, man ist bequemer geworden. Nichts unübliches, ein normales Generationsthema und die Welt um einen herum verändert sich in etwa im selben Tempo, ausgenommen von Technologie und damit auch das Medium Videospiele. Dort ist die Entwicklung schneller, viel schneller. Der Generationsspalt zwischen meinem 18 Jahre alten Ich und meinem heutigen Ich ist gefühlt bei weitem nicht so groß wie zwischen Halo: Combat Evolved und Far Cry 4. Das Tempo der Weiterentwicklung von Videospielen war immer schon schneller. Vor zwölf Jahren war ich gefühlt gleichauf, vor sechs Jahren maximal drei Jahren hinten und heute bin ich bereits sechs Jahre hinten nach. Drei Jahre Rückstand lassen sich leicht erfassen und die eigene Motivation sowie Neugier gewinnen über die Bequemlichkeit. Sechs Jahre Rückstand lassen sich schwer erfassen und die Bequemlichkeit des Gewohnten liegt knapp vor der Motivation und deutlich vor der Neugier.
Far Cry 4 ist rundum betrachtet ein gutes Spiel. Die Spielmechanik funktioniert, es gibt keine wirklichen Einstiegshürden, mögliches Frustpotential wurde wegoptimiert und ohne großes Nachdenken versinkt man problemlos in der Rolle des Hauptcharakters Ajay Ghale bei der Erkundung der Himalaya-Bergwelt. Das ebenso gute aber anders gute Halo: Combat Evolved funktioniert zwar in Bezug auf die Spielmechanik, zeigt aber nach mehr als 13 Jahren aus heutiger Sicht durchaus spürbare Kanten auf. Daran ändert auch die letztjährige Wiederwiederveröffentlichung in Form der Halo: The Master Chief Collection auf der Xbox One nichts. Far Cry 4 glänzt darin wenn es gilt nichts nicht zu tun. Halo: Combat Evolved hingegen entspricht dem Mantra von vor einem Jahrzehnt, bei dem die Fokussierung und nicht die Qual der Wahl beim Design von Videospielen im Vordergrund stand. Ein Designgrundsatz auf den ich unbewusst konditioniert wurde, eine Sache die Teil meiner Lebenserfahrung geworden ist und der Grund, warum ich heute lieber ein 13 Jahre altes Videospiel nach einem Arbeitstag starte und ein aktuelles Videospiel in einem Regal auf mich wartet.
Halo: The Master Chief Collection* und Far Cry 4* wurden im Lauf der letzten Wochen auf der Xbox One gespielt. Beide Spiele wurden im November 2014 veröffentlicht und sind neutral betrachtet mehr als nur gut, was auch an den Metacritic Fantasiebewertungspunkten in Höhe von 86 für Halo TMMC sowie 82 für Far Cry 4 erkennbar sein könnte. Hinweis hinsichtlich Transparenz: Microsoft hat mir die Xbox One Version von Halo: The Master Chief Collection zur Verfügung gestellt und Ubisoft hat mir ebenso die Xbox One Version von Far Cry 4 zur Verfügung gestellt.