Das Kalenderblatt an der Wand zeigt den 27. Oktober 2012, es ist Samstag kurz nach 22:00 in einem Linzer Kaffeehaus. Vor der Tür sind die Vorboten des anstehenden Winters zu spüren, im warmen Inneren hat sich mittlerweile ein Gast an das Klavier gesetzt und beginnt zu spielen. Die Melodie klingt vertraut und ich bilde mir ein das Stück zu erkennen, es nennen zu können, aber aufgrund meines musikalischen Halbwissens scheitere ich kläglich. Auf dem Tisch steht eine noch dampfende Tasse Darjeeling, gegenüber sitzt ein Freund und wir unterhalten uns über Gott, die Welt und andere Nebensächlichkeiten. Das Thema Videospiele kommt auf und die Frage welcher Titel sich derzeit in meiner Konsole befindet, beantworte ich mit Assassin’s Creed III. Die darauf folgende Frage, ob dass nicht das Spiel sei, in dem man herumläuft und andere Leute niedermetzelt gibt mir zu denken, denn auch wenn ich das Spiel niemals mit einem solchen Satz beschreiben würde, hat mein Gegenüber nicht unrecht. Man tötet Leute als Meuchelmörder, man tötet viele Menschen, man tötet viele Menschen als Meuchelmörder. Worin liegt aber die Faszination der Assassin’s Creed Reihe, denn alleine das Morden im Stillen und Heimlichen ist es nicht. Was ist das Geheimnis, was ist die Zusammensetzung der Assassin’s Creed DNA und wieviel steckt davon im fünften dritten Teil der Erfolgsserie?
Jeder Titel der Serie besteht grundlegend aus fünf Elementen, die je nach Spiel eine unterschiedliche Ausprägung haben, sich aber wie ein roter Faden durch alle Titel ziehen: das Spielgeschehen, die Geschichte und das Leben der Charaktere, der historische Schauplatz, das ewig währende Duell zwischen Templern und Assassinen sowie den Spielen nach und während des Spiels.
Das Spielgeschehen, der Spielablauf oder das Gameplay sind seit dem ersten Teil der Serie im Jahr 2007 gleich. Im Laufe der Titel wurden die Animationen verbessert, die Abläufe perfektioniert, das Bewegungsrepertoire der Hauptfigur und auch die Möglichkeiten im Kampf erweitert sowie stetig vereinfacht. Wenn am Bildschirm in 90% der Fälle souverän mit komplexen Parkour-Manövern von Objekt zu Objekt gesprungen wird, reicht am anderen Ende das simple Halten einer Taste. In den restlichen 10% findet man sich mit dem Gesicht einer Wand zugewendet, ungewollt in einem Heuhaufen versteckt oder am nächsten Laternenmast hängend. Optisch spektakuläre Ausweich- und Angriffsmanöver während Kämpfen sind dank in Zeitlupe korrekt abgestimmten Tastendruck mittlerweile die Regel und durch die stetige Vereinfachung Optimierung des Kampfsystems bei weitem nicht mehr so fummelig wie früher. Trotz aller Bemühungen wurden (fast traditionell) nicht alle Makel entschärft und so gerät seit dem ersten Teil vor fünf Jahren jeder Ausritt zu einer nervenaufreibenden Geduldsprobe, die mit der deutlich umfangreicheren Bewaldung in der riesigen Welt von Assassin’s Creed III einen traurigen Höhepunkt erreicht.
Mit dem 2009 erschienenen Nachfolger des Urspiels wurde die anfänglich minimalistische Komponente des Erzählens einer Geschichte in den Vordergrund gerückt. Man miterlebte das Dasein eines historisch fiktiven Charakters und dessen persönliche Geschichte. Das flexible Absolvieren der primären Missionen aus dem ersten Teil wurde ebenso damals durch einen streng linearen Geschichtsverlauf ersetzt. Die häufigen Wiederholungen aus dem ersten Teil gab es zwar indirekt auch, jedoch dank geschickter Inszenierung mittels Zwischensequenzen in der Spielgrafik deutlich subtiler und besser verpackt. Assassin’s Creed III perfektioniert dieses Konzept und bietet eine noch deutlich intensivere und abwechslungsreichere Geschichte mit dem spannenden und gut ausgearbeiteten indianisch stämmigen Hauptcharakter Ratohnhaké:ton aka Connor.
Nach dem Dritten Kreuzzug im Heiligen Land, dem späten 15. Jahrhundert in Italien und Konstantinopel geht es im jüngsten Ableger an die Ostküste der neuen Welt, in die Epoche der Amerikanischen Revolution und dem daraus resultierenden Unabhängigkeitskrieg. Eine unheimlich spannende Zeit und im Gegensatz zu anderen US-Blockbuster Produktionen, wagt Ubisoft Montreal mit Assassin’s Creed III einen überraschend neutraleren und gleichzeitig kritischeren Blick auf damals. Die stetig betonte historische Korrektheit wird zwar durch die fiktive Geschichte des Hauptcharakters Conner deutlich gedehnt, was aber dank des bei den meisten Spielern vorhandenen historischen Halbwissens nicht relevant ist. Welcher Nicht-Geschichte-Student kennt schon die Details der Boston Tea Party, den genauen Ablauf der Schlacht von Bunker Hill oder die Zeitdauer der Schlacht von Monmouth. Jedoch (fast) jeder kennt die Grundfakten sowie die historisch relevanten Persönlichkeiten und genau dank diesem Halbwissen ist die erschaffene „historisch korrekte“ Welt so faszinierend. Es ist das Gefühl, dass man etwas kennt, aber es nicht zu 100% einordnen kann. Genau in diese Lücke springt Assassin’s Creed III mit der Mischung aus historischen Daten, bekannten Persönlichkeiten und der fiktiven Geschichte von Connor vor dem Hintergrund des annähernd ewigen Duells zwischen Böse und Gut, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Templern und Assassinen.
Um die ursprünglichen Wurzeln in Form der offenen Welt beizubehalten und gleichzeitig die historische Welt möglichst lebendig und realistisch darstellen wurde das digitale Abbild um unzählige (und damit sind tatsächlich unzählige gemeint) Spielelemente angereichert, die man stellenweise im Zuge des primären Geschichtsverlaufes nur am Rande mitbekommt oder die Spielmechanik dort nur einmalig genutzt wird. Quasi als unabhängige Spiele im Spiel absolviert man Sammelaufträge, Auftragsattentate, befreit besetzte Bezirke, erkundete die unterirdischen Tunnelsystem von Boston und New York, hilft Bürgern und Händlern, erklimmt und entdeckt Kirchtürme und Baumkronen im Grenzland, betätigt sich als Captain eines ehemaligen Piratenschiffs, gründet und belebt (s)eine Siedlung, vervollständig historische Datenbankeinträge, vollendet die Inneneinrichtung seines Eigenheims oder versucht sich als Spurenleser und Jäger. Die Möglichkeiten scheinen unendlich und sorgen neben zusätzlicher spielerischer Unterhaltung auch für ein belebtes Bild der Spielwelt. Diese losgelösten Aktivitäten sind definitiv empfehlens- sowie spielenswert und bieten in diversen Bereichen (minimale) Unterstützung beim Absolvieren der Hauptgeschichte, sind jedoch im Gegensatz zu früheren Teilen der Serie dieses Mal vollkommen optional.
Zusammengesetzt ergeben die einzelnen Komponenten die DNA von Assassin’s Creed und setzen gleichzeitig den Fokus eines jeden einzelnen Spiels der Serie. Alleine betrachtet oder bewertet ist keine der Teile der DNA ein besonderes Alleinstellungsmerkmal oder gar überdurchschnittlich gut, zusammengesetzt entsteht jedoch ein außergewöhnliches Bild. Außergewöhnlich ist wohl auch das passende Wort um Assassin’s Creed III zu beschreiben, denn der dritte Teil der Serie ist trotz kleiner Mängel (FU Pferde und FU penibel zeitlich abgestimmte Verfolgungssequenzen zu Fuß) außergewöhnlich gut und ganz nebenbei eines der besten Spiele der aktuellen Konsolengeneration.
Gespielt wurde eine von Ubisoft Österreich zur Verfügung gestellte Version auf der Xbox 360. Assassin’s Creed III ist seit Ende Oktober erhältlich und wechselt je nach Edition und Plattform für 55 bis 95 Euro den Besitzer (Amazon*). PS Vita Besitzer erhalten mit Liberation einen eigenständigen Ableger (Amazon*), der in der gleiche Epoche wie sein großes Vorbild spielt.