Was vor Jahren die Aufregung über kostenpflichtige herunterladbare Zusatzinhalte war, ist heute die gefühlt noch lautere Aufregung sowie auch Diskussion über per Zufall vergebene Inhalte in Videospielen oder einfach kurz Loot Boxen. Das Prinzip dahinter ist vereinfacht meist die Kombination von dauerhaften Inhalten wie Lackierungen oder Kostümen und verbrauchbaren Gegenständen wie einer kurzfristigen Steigerung von Werten oder Heiltränken. Die konkrete Kombination der in der Loot Box enthaltenen Gegenständen erfolgt grundlegend zufällig unter Berücksichtigung einer vom Entwickler festgelegten Seltenheit. Bedeutet konkret, dass zum Beispiel Heiltränke, welche die volle Gesundheit des virtuellen Charakters wiederherstellen, deutlich seltener enthalten sind, als Heiltränke, die die Hälfte oder nur ein Viertel der Lebensenergie auffüllen.
Der Ursprung von zufälligen Belohnungen stammt eigentlich aus Massively-Multiplayer-Online-Videospielen wie World of Warcraft und wurde sowie wird in abgewandelter Form von Loot Boxen auch häufig in Videospielen mit einem Free-to-play-Geschäftsmodell zur Monetarisierung genutzt. Die ersten Ansätze davon in umgangssprachlich normalen Videospielen gab es im September 2010 bei Team Fortress 2 im Rahmen des Wechsels auf das Free-to-play-Geschäftsmodell. Der Videospieler konnte zufällig bestückte Kisten finden, welche mit einem kostenpflichtigen Schlüssel entsperrt werden konnten um zufällige optische Veränderungen für die Charaktere zu erhalten. Im März 2012 nutzte Electronic Arts das Konzept für den kooperativen Modus von Mass Effect 3 und ermöglichte den Erwerb der unterschiedlichen Boxen mit der Videospielwährung oder alternativ gegen echtes Geld. Es folgten im August 2013 Loot Boxen mit Lackierungen in Counter-Strike: Global Offensive und im Oktober desselben Jahres startete Battlefield 4 mit dem Konzept. Zu Beginn konnten dort die Loot Boxen rein durch den Aufstieg im Mehrspieler-Modus sowie der Videospielwährung erworben werden, im Mai 2014 wurde eine Kaufoption mit echtem Geld nachträglich implementiert beziehungsweise freigeschaltet.
Die Basis war etabliert und wurde zunehmend in Videospielen implementiert. Overwatch, Call of Duty: Infinite Warfare, Halo 5: Guardians, Battlefield 1, Gears of War 4, Halo Wars 2 und die letzten paar FIFA-Versionen zählen zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Titeln und beinhalten alle das grundlegende Konzept der Loot Boxen. Die Videospielindustrie hat die Möglichkeiten der zusätzlichen Monetarisierung erkannt und blickt man auf den Herbst 2017, ist das Konzept der Loot Box zum Standard geworden und ist auch nicht mehr rein auf den Mehrspieler-Modus begrenzt, sondern findet sich auch immer öfter im Einzelspieler-Modus. Destiny 2, NBA 2K18, WWE 2K18, Forza Motorsport 7, Mittelerde: Schatten des Krieges, FIFA 18, Star Wars Battlefront 2 oder Assassin’s Creed Origins um ein paar aktuelle Videospiele mit Loot Boxen zu nennen.
Und jetzt könnte man die Thematik und das zugrundeliegende Konzept auf mehreren Ebenen und je nach Integration auseinandernehmen. Da gibt es den grundlegenden Aspekt des Glücksspiels, da Inhalte nicht mehr direkt, sondern nach einem zufällig gewählten Verfahren des Entwicklers und teilweise gegen reales Geld vergeben werden. Erschwerend hierbei kommt je nach Videospiel die Implementierung zum Tragen, da das Öffnen von Loot Boxen meist durch audiovisuelle Elemente begleitet wird um dem Videospieler teils unbewusst einen zusätzlichen beziehungsweise verstärkten Belohnungseffekt zu vermitteln. Je intensiver dieser Effekt ausfällt und je empfänglicher die Person vor dem Bildschirm ist, desto höher ist die Ausschüttung von Endorphine im Körper. Diese Belohnungsschleife ist eine gefährliche Kombination in Hinblick auf Videospiel-Sucht und unter den erwähnten Aspekten auch in Richtung Glückspiel-Sucht. Noch viel mehr. da die Präsentation im Regelfall als eine weitere Videospiel-Mechanik im jeweiligen Titel erfolgt. Ein weiterer Aspekt ist in manchen Fällen das Schaffen einer Schattenwirtschaft durch den nicht regulierten Verkauf seltener Gegenstände außerhalb des jeweiligen Videospiels oder der zugrundeliegenden Videospiel-Plattform. Die erweiterte Form des Umstands ist nicht der direkte Verkauf, sondern das Nutzen von solchen Inhalten als Wetteinsatz auf spezialisierten Plattformen, womit wir wieder am Start landen, nämlich dem Glücksspiel, dieses Mal aber vollkommen unreglementiert und außerhalb jeglicher Verfolgbarkeit für alle involvierten Parteien.
Das zweite große Element führt zurück zum ursprünglichen Sinn von Loot Boxen, der Monetarisierung. Bei Nutzung eines Free-to-play-Geschäftsmodells grundlegend verständlich, bei Videospielen die als Vollpreis-Titel gedacht sind etwas schwieriger. Von Seiten der Entwickler werden Bedenken mit PR-kompatiblen Wortphrasen abgeschwächt und stetig auf die Optionalität hingewiesen. Die Erklärung dahinter ist im Regelfall die Möglichkeit Videospielern mit begrenzter Zeit ein schnelleres, wenn auch käufliches Weiterkommen zu ermöglichen. Inhaltlich bei im Prinzip allen bisher aufgezählten Titeln korrekt, jedoch stellt sich hierbei die grundsätzliche Frage ob nicht beim Design des Videospiels falsche Entscheidungen getroffen wurden. Anders formuliert: Wenn ein Entwickler Bedenken hat, dass ein Teil der Videospieler nicht im vom Videospieler erwarteten Tempo vorankommt und die einzigen Möglichkeiten das langfristige Wiederholen von Videospiel-Mechaniken zum Verdienen der Videospielwährung oder das zeitliche Reduzieren des Vorgangs durch reales Geld ist, dann gehe ich das Problem zum falschen, einem viel zu späten Zeitpunkt an. Noch merkwürdiger wird der Gedanke, wenn man bedankt, dass der Einsatz von echten Geld nicht zwingend das gewünschte Resultat erbringt, denn zeitgeplagte Videospieler erkaufen sich in Realität kein schnelleres Vorankommen im Videospiel, sondern erkaufen sich ein mögliches schnelleres Vorankommen, da der Inhalt der Loot Boxen zufällig durch den Entwickler bestimmt wird. Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Erst Recht, wenn man auf den ursprünglichen Sinn dieser zusätzlichen Videospiel-Mechanik denkt.
Sind Loot Boxen in Videospielen gut oder schlecht? Kann man so pauschal nicht beantworten, da die Antwort von der Kombination der Art des Titels, den Hintergedanken des Entwicklers, der Integration ins Videospiel selbst, etwaigen Anpassungen an weiteren Videospiel-Mechaniken und dem Videospieler selbst abhängt. Persönlich gehen meine Erfahrungen von relativ egal in Gears of War 4 über das Meiden von Videospiel-Modi in Halo Wars 2 zu einer für mich bisher funktionierenden zusätzlichen Videospiel-Mechanik in Forza Motorsport 7. Egal ob man persönlich die Entwicklung positiv oder negativ sieht, das Konzept der Loot Boxen ist 2017 zu einer Standard-Videospiel-Mechanik geworden und diese wird auch wohl nicht so schnell wieder verschwinden.