In den letzten Jahren hat sich das Etablieren von neuen Marken als eine der größten Herausforderungen der Videospielindustrie herausgestellt. Die Gründe hierfür sind vielfältig und aus wirtschaftlicher Sicht sind die extrem hohen Investitionskosten das größte Problem. Die Größe der Teams und die direkt daraus resultierenden Produktionskosten sind im letzten Jahrzehnt nahezu explodiert und gleiches gilt für die Ansprüche der Konsumenten. Alles muss größer, schöner und bombastischer werden und Experimente der Videospielindustrie sind einem hohen Akzeptanzrisiko und damit einhergehenden wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt. Als Lösungsansatz haben sich Fortsetzungen bereits erfolgreicher Marken herauskristallisiert, da diese aufgrund bekannter Spielmechaniken und einer etablierten Zielgruppe mit hoher Akzeptanz ein geringeres wirtschaftliches Risiko innehaben als neue Konzepte. Ubisoft ist ein Videospielpublisher der das Geschäft mit Fortsetzungen nicht nur beherrscht, sondern perfektioniert hat. Dies geht so weit, dass einige Zeit lang die grundlegenden Spielmechaniken und Konzepte in fast nahezu allen großen Marken von Ubisoft identisch waren und das einzig wirkliche Unterscheidungsmerkmal die optische Aufmachung und Perspektive war. Wenige Medien veröffentlichten aus diesem Grund sarkastische generische Testberichte zu generischen Ubisoft Games, die Konsumenten kauften dennoch und stützten damit jahrelang die unkreative aber wirtschaftlich erfolgreiche Strategie. Watch Dogs 2 wurde im Juni 2016 angekündigt, erschien im November 2016 und teilt sich nichts mit dem 2014 erschienenen Watch Dogs und nur wenig mit der zuvor erwähnten generischen Ubisoft-Formel für Videospiele.
Der Unterschied ist so groß, dass es mir schwer fällt zu entscheiden mit welchem Aspekt ich beginnen soll und welcher die größte Auswirkung auf die Spielerfahrung hat. Es ist vermutlich die Spielwelt, welche in Watch Dogs 2 nicht erst Stück für Stück freigeschaltet werden muss, sondern bereits zu Beginn der erzählten Geschichte vollständig offensteht. Löst man sich vom Gedanken es auf einzelne Aspekte zu reduzieren, ist eigentlich alles in Watch Dogs 2 sofort zu Beginn verfügbar. Die einzigen Limitierungen auf die man trifft, sind eine erforderliche Geldmenge zum Erwerb von Ausrüstung und zu wenig Erfahrungspunkte um die eigenen Fähigkeiten zu verbessern. Im Endeffekt sind diese Limitierungen aber nur bedingt relevant, da aufgrund des Designs der Spielwelt und der darin enthaltenen Spielelemente abgesehen vom Basisset an Ausrüstungsgegenständen und Fähigkeiten nichts benötigt wird um das Videospiel durchzuspielen. Zusätzliche Ausrüstung und Verbesserungen vereinfachen spätere Spielabschnitte und manche optionalen Spielelemente können ohne Aufrüstung nicht absolviert werden, aber für das reine Durchspielen reicht die Basis die man innerhalb der ersten beiden Spielstunden ansammelt.
Um sich von der generischen Ubisoft-Formel lösen zu können, wurde die grundlegende Designentscheidung getroffen den Videospieler in eine als Spielplatz konzipierten offenen Spielwelt zu setzen und diesen dadurch seine Spielerfahrung selbst gestalten zu lassen. Reduziert man die platzierten Spielelemente und Spielmechaniken auf ein Minimum und vergleicht diese mit Videospielen in denen perfektioniert nach dem alten Regelwerk gearbeitet wurde, sind diese erschreckend identisch mit früher. Watch Dogs 2 täuscht über das Beibehalten der Elemente durch den verzichteten Zwang diese zu absolvieren so perfide hinweg, dass man im Gegensatz zu früheren Videospielen des Publishers noch nach Stunden freiwillig, gerne und gut unterhalten Gebiete mit Gegnern säubert, höher gelegene Punkte erreicht und oder Gegenstände einsammelt.
Eine solche Offenheit ist mit Risiken verbunden, im schlimmsten Fall ist dies Frust in der Spielerfahrung. Watch Dogs 2 kämpft aufgrund der Wiederverwertung etablierter Spielelementen und Spielmechaniken hier manchmal, da es während der etwa 20 Stunden Spielzeit mehrfach zu Momenten kommt, in denen man als Videospieler frustriert ansteht. Im besten Szenario hat man ein Spielelement fast komplett gemeistert und muss kurz vor dem Ende aufhören, da man die benötigte Fähigkeit noch nicht freigeschaltet hat. In seltenen Fällen wird diese Situation unangenehm frustrierend, nämlich wenn man als Videospieler im Unklaren gelassen wird ob man etwas übersehen hat oder ob eine wie zuvor beschriebene fehlende Fähigkeit der Grund für den Abbruch darstellt. Je länger ich über diese Problematik auch nachdenke, umso schwieriger oder gar unmöglich ist es meiner Ansicht nach den schmalen Grat zwischen absoluter Offenheit und dem abhängig von den Fähigkeiten schrittweisen Freischalten von Spielelementen zu finden.
Ubisoft versucht die grundlegende Designentscheidung der Offenheit auch auf die Art und Weise wie die Geschichte erzählt wird anzuwenden. Der gewählte Weg ist das Zusammenfassen einzelner Missionen zu thematisch eigenständigen Geschichtssträngen. Jeder dieser Geschichtsstränge hat eine Gesamtspieldauer von bis zu zwei Stunden und kann nach jeder im Strang stattgefundenen Mission pausiert werden. Die Geschichtsstränge laufen teilweise parallel und die Startzeitpunkte sind immer etwas versetzt. Ergänzt durch als Nebenmissionen deklarierte Spielelement in der Spielwelt hat der Videospieler zu jedem Zeitpunkt mehrere Möglichkeiten unterschiedliche Geschichtsstränge zu verfolgen, bei einem parallelen Strang weiterzuspielen oder mittels Nebenmissionen Ressourcen zum Erweitern der Ausrüstung oder Fähigkeiten zu sammeln. Alle Geschichtsstränge und Nebenmissionen in Watch Dogs 2 teilen sich das Gesamtmotiv des Hackens und der gesellschaftlichen Problematik einer komplett vernetzten Großstadt, welches ich aber im Vergleich zu den einzelnen Geschichtssträngen als sehr oberflächig und simpel eingestuft habe. Dies ist auch der Grund weshalb ich den Begriff Gesamtmotiv anstelle von Gesamtgeschichte gewählt habe und diese Bezeichnung ist meiner Ansicht nach auch passender für die Offenheit der Spielwelt und der Nutzung dieser als Spielplatz für Spielelemente und Geschichtsstränge.
Trotz der Ziffer Zwei im Titel und den Spielmechaniken aus der generischen Ubisoft-Formel für Videospiele hat Watch Dogs 2 abgesehen vom Grundmotiv des Hackens sowie namensgleichen Elementen in der Spielwelt nur wenig mit dem im Jahr 2014 erschienenen Watch Dogs zu tun. Watch Dogs setzte die generischen Ubisoft-Formel für Videospiele fast perfektionistisch um, Watch Dogs 2 bricht diese mit der Designentscheidung Offenheit. Es ist nicht mal möglich zu sagen, dass in Watch Dogs 2 alle Elemente besser umsetzt sind als in Watch Dogs, denn ein direkter Vergleich ist meiner Ansicht nach nicht möglich. Die Grundstimmung ist anstelle von düster erdrückend nun bunt fröhlich und die Spielerfahrung ist anders, für mich deutlich besser und angenehmer als in früheren Ubisoft Titeln.
Weshalb hat sich Ubisoft dennoch durch die Namenswahl zu einer Fortsetzung anstelle einer neuen Marke entschieden? Das auf den ersten Blick geringe wirtschaftliche Risiko von Fortsetzungen gegenüber neuen Marken und die Weiternutzung eines Gesamtmotivs. Das Problem hierbei von Watch Dogs 2? Die etablierte Zielgruppe hat sich an der jahrelang angewendeten generischen Ubisoft-Formel satt gespielt, steckt den namensgleichen Titel in die selbe Schublade und kauft dadurch schlichtweg nicht mehr in der Menge wie es in diesem Fall angebracht wäre. Watch Dogs 2 bricht nicht nur komplett mit Watch Dogs, sondern bricht auch mehr als jeder andere Titel von Ubisoft mit dem jahrelangen spielmechanischen Einheitsbrei. Watch Dogs 2 ist keine Fortsetzung und kein Nachfolger, Watch Dogs 2 ist die seit Jahren überfällige spielerische Evolution der meisten Spiele aus dem Hause Ubisoft, eine verdammt spielenswerte und unterhaltsame Weiterentwicklung.
Der Beitrag erwähnt bewusst San Francisco als Schauplatz nicht, ignoriert jegliche Sympathie für die Hauptfigur Marcus Holloway und auch die im Videospiel entstehende Dynamik der Hackergruppe Dedsec. Warum? Weil es nur eine optische Hülle ist und es dafür hübsche Webseiten von Marketingabteilungen gibt. Gespielt wurde die Xbox One Version von Watch Dogs 2. Das Videospiel ist seit November für den PC, die PlayStation 4 sowie Xbox One verfügbar. Die Standardversion ist bereits für etwa 40 Euro bei Amazon* erhältlich, die digitalen Versionen auf den Markplätzen der Plattformhersteller liegen im Regelfall bei etwa 60 Euro. Auf den beiden Videospielkonsolen gibt es zusätzlich die Möglichkeit das vollständige Videospiel für drei Stunden als Trial zu testen. Hinweis hinsichtlich Transparenz: Ubisoft hat mir Watch Dogs 2 als physische Disc-Version zur Verfügung gestellt.