Geschickt navigiert der Assassine durch die von Menschenmengen gefüllten und von hohen Gebäuden umgebenen Straßenabschnitte. Möglichst unauffällig, aber dennoch zielstrebig bewegt er sich in Richtung des Ziels, genauer gesagt in Richtung der zu eliminierenden Zielpersonen. Um einen besseren Überblick über den möglichen Aufenthaltsort des Ziels zu erhalten, sind die Dächer die nächste Zwischenetappe und eine Gebäudefassade wird kurzfristig als Aufstiegshilfe genutzt. Oben angekommen gilt es mittels Intuition-Sicht die Zielperson zu lokalisieren und parallel dazu im Geiste die unterschiedlichen Möglichkeiten des Angriffs durchzuspielen sowie zu bewerten. Anstelle des frontalen Angriffs wird der langsamen und versteckten Herangehensweise der Vorzug gegeben. Nach dem Abstieg taucht der Assassine in der Menschenmenge unter um unbemerkt möglichst nahe an die zu eliminierende Person zu kommen. Ein kurzer Ausbruch aus der Menge, ein kurzes Anschleichen und ein direktes Attentat von hinten. Die Mission ist erfüllt, rund um den Assassinen entsteht Chaos und es gilt zu entkommen, möglichst schnell und am besten ohne Verfolger, um die Attentatsmission auch tatsächlich zu überstehen.
Die beschriebene Sequenz stammt nicht aus Assassin’s Creed Unity, sondern aus dem Jahr 2006. Es ist die Textbeschreibung der ersten öffentlich gespielten und kommentierten Demo von Assassin’s Creed auf der damaligen Xbox Hausmesse X06 in Barcelona (YouTube Video der Präsentation). Die stark vordefinierte und zeitlich penible geplante Mission versuchte das geplante Spielgefühl in weniger als sechs Minuten zu vermitteln, ein Spielgefühl welches der Starttitel der mittlerweile zur jährlichen Spieleserie gewordenen Marke zur Veröffentlichung im Dezember 2007 nicht halten konnte und erst mit dem diesjährigen Assassin’s Creed Unity umgesetzt wurde. Umgesetzt in Form der Vision und unter der Berücksichtigung der teilweise gelernten Lektionen aus sieben Jahren Assassin’s Creed.
Genau an dieser Stelle bietet sich die 0815-Textvorlage für Ubisoft Spiele mit einer offenen Spielwelt an. Ein weißer Hauptcharakter mit einer Geschichte die durch ein Rachemotiv getrieben wird, Schwierigkeitsdefinition durch unterschiedliche Gebiete, gefühlt mehr als unendlich viele Nebenmissionen, mehr oder weniger schwer erreichbare Orte die weitere Aktivitäten abseits des primären Geschichtsstrang offen legen, verschiedenste Sammelgegenstände und ein von Rollenspielen inspiriertes individualisierbares Fähigkeits- und Ausrüstungssystem. Gefühlt wenig Neues für Serienveteranen, vieles ist die jahrelang servierte und gute Standardkost mit den Attributen größer, schöner und oder umfangreicher und dagegen ist auch nichts einzuwenden. Die Assassin’s Creed Serie ist für Ubisoft eine wirtschaftlich wichtige und starke Marke, die sich mit den letzten beiden Spielen weiter von der ursprünglichen Vision entfernt hat als man es erwartet hat. Assassin’s Creed Unity verwirft gewagtere Ambitionen wie Schiffsfahrten, tropische Inseln oder neblige Waldabschnitte und versucht sich an den Wurzeln zu orientieren und parallel dazu die Marke in einer neuen Hardware- als auch Spielegeneration zu definieren.
Den stärksten Teil dieser Definition übernimmt die Spielwelt in Form von Paris. Äußerst hübsch, äußerst umfangreich, äußerst detailliert, äußerst belebt und äußerst abwechslungsreich trifft es am besten. Viel zu sehen, welches sich indirekt wiederholt, aber nicht als Wiederholung wahrgenommen wird oder langweilt. Abseits der Straßen haben etliche Gebäude auch ein teils mehrstöckiges und belebtes Innenleben, welches fließend durch geöffnete Fenster und Türen betreten und verlassen werden kann und nochmals die Lebendigkeit des virtuellen Parisers Stadtkern verstärkt. Die historisch inspirierte und auf Unterhaltung optimierte Spielwelt definiert seit Anfang an die Serie und die für Unity auf den neuen Konsolen vorhandene Rechenleistung hebt diesen Faktor nochmal hervor. Ähnliches gilt für den Ablauf der primären Geschichte, bei der das Design der einzelnen Abschnitte bei den bisherigen Titeln sehr streng linear war. Die kleinste Abweichung von dem vom Spiel definierten Ablauf führte zwingend zum Scheitern oder zum sofortigen Abbruch. Assassin’s Creed Unity reduziert die Gesamtanzahl an Einzelspieleraufträgen, führt im Gegenzug dazu aber Signature-Missionen ein. Hier hat der Spieler ein Missionsziel, aber erstmals wirklich unterschiedliche Wege und Methoden dieses zu erreichen. Was früher über mehrere einzelne Abschnitte abgebildet war, wird nun kombiniert in einem dynamischen etwa 45 Minuten langen Auftrag abgebildet. Dieser verläuft zwar grundlegend weiterhin analog der üblichen Spielmechanik und dem definierten Assassin’s Creed Regelwerk, aber der tatsächliche Ablauf wird erst durch die Entscheidungen des Spielers definiert. Diese Signature-Missionen spielen sich erfrischend neu, eröffnen eine flexiblere Spielweise und zeigen in welche Richtung Assassin’s Creed auf der PlayStation 4 und Xbox One künftig gehen wird. Das Unity Manko an der Sache ist aber leider die Menge, denn nur eine Handvoll der Einzelspielermissionen sind sogenannte Signature-Missionen, der große andere Teil setzt leider weiterhin auf den in den Vorgängern genutzten streng linear Ablauf.
Von Jahr zu Jahr setzt das Assassin’s Creed Franchise auf Wachstum. Alles wird größer, alles wird besser und alles wird perfekter. Was sieben Jahre lang mehr oder weniger perfekt funktioniert hat, kommt mit Unity leider teilweise ins Stocken. Die Basis ist durchaus solide, unterhält ungemein und Unity ist für mich als Fan der Serie das beste Assassin’s Creed seit dem im Jahr 2010 erschienen Renaissanceableger Brotherhood. Was jedoch fehlt ist der Feinschliff, der gefühlt jährlich immer weiter aus dem Entwicklungsfokus gerät. Vermutlich ist es die Kombination aus dem ambitionierten jährlichen Veröffentlichungszyklus seit dem im Jahr 2009 erschienenen Assassin’s Creed II, die technischen Herausforderungen der neuen Hardwareplattformen, die Zusammenarbeit zwischen zehn auf der Welt verteilten und an der Entwicklung beteiligten Ubisoft Studios, der Marketingdruck sowie die Erwartungshaltung von Ubisoft als Publisher und die gnadenlose „More Stuff“-Philosophie. Einzeln betrachtet sind die etlichen Nebenaufgaben wie ungelöste Mordfälle, kleine eigenständige Geschichten der Bewohner von Paris oder die ebenso in Unity vorhandenen Nostradamus Rätsel durchaus gut, der zusammenhängende und im optimalen Fall auch noch verflechtete rote Faden fehlt jedoch. Alles Probleme die es bereits in den letzten Jahren gab, aber bei Unity stärker ins Gewicht fallen weil es einfach bereits zu viel ist und vieles sich auch gleichzeitig unrund anfühlt.
Dies trifft leider auch auf den kooperativen Modus zu, der über 20 Missionen bietet und von bis zu vier Spielern absolviert werden können. Um die Einzelspielererfahrung nicht zu beinträchtigen sind diese Aufträge eigenständig, können aber wie normale Missionen in der offenen Spielwelt gestartet werden. Grundlegend eine gute Idee und technisch auch einwandfrei umgesetzt. Das Problem daran ist aber noch immer die „More Stuff“-Philosophie, denn dadurch werden diese in der Einzelspielererfahrung eingebetteten Startpunkte zu weiteren Datenpunkten auf der Übersichtskarte und fördern leider das Gefühl der Verwirrung und Überladung zusätzlich. Alles keine wirklichen Dealbreaker, aber störend und dieser nicht schlechte aber störende Faktor lebt auch außerhalb des digitalen Pariser Stadtbilds weiter. Egal ob es die vier Währungen im Spiel sind von denen eine mittels realen Geld nachgekauft werden kann oder die sieben unterschiedlichen Spielversionen (Standard, Special, Gold, Pocket Watch Bundle, Bastille Edition, Notre Dame Edition oder Guillotine Edition) kombiniert mit den unterschiedlichsten Vorbestellerangeboten, es ist zusammenfassend gesagt einfach zu viel, zu verwirrend und zu komplex.
Was ich von Assassin’s Creed Unity halte? Trotz der letzten beiden negativen Absätze viel, es hat mir bisher 20 Stunden unheimlich viel Spaß gemacht und wird mich auch noch etliche Abende alleine oder im kooperativen Spiel mit Freunden ausgezeichnet unterhalten. Würde ich Assassin’s Creed Unity im direkten Vergleich mit dem Vorjahrestitel Assassin’s Creed Black Flag oder auch eigenständig weiterempfehlen? Ja, da es grundlegend abgesehen der extrem ausgeprägten „More Stuff“-Philosophie und dem fehlenden Feinschliff ein gutes und umfangreiches Spiel ist. Wie ich ein Spiel mit einem Metacritic-Phantasie-Score von 70+ Irgendwaspunkten empfehlen kann welches seit Jahren Steuerungsprobleme mitschleppt, deutlich spürbare Performance-Probleme aufweist und gefühlt ausschließlich durchwachsene Kritiken erhält? Indem ich mein Spielgefühl von zwei Wochen wiedergebe und weder den Hype, noch die dadurch entstandene Erwartungshaltung als Maßstab heranziehe. Nur weil ein Spiel stärker als gewohnt von der inszenierten Hype-Maschine abweicht, ist es kein schlechtes Spiel. Assassin’s Creed Unity bringt das Franchise in eine neue Generation an Videospielen. Es ist nicht das Spiel das es sein hätte können, aber noch weniger ist es das Spiel zu dem es derzeit medial runtergemacht wird. Assassin’s Creed Unity ist ein gutes Spiel welches mir Spaß macht, unabhängig der strategischen Fehler von Ubisoft vor oder während der Veröffentlichung.
Gespielt wurde die Xbox One Version über einen Zeitraum von 12 Tagen mit in Summe etwa 30 Stunden Spielzeit im Einzelspielermodus als auch im kooperativen Modus mit Bloggern und Freunden. Abgesehen von kleineren technischen Performance-Problemen, gefühlt unendlich langen Ladezeiten und in Summe zwei Spielabstürzen verlief meine bisherige Spielerfahrung ohne weitere nennenswerte Probleme. Amazon* bietet Assassin’s Creed Unity für den PC, die PlayStation 4 und Xbox One je nach Edition und Ausprägung um 55 bis 85 Euro an. Hinweis hinsichtlich Transparenz: Ubisoft hat mir einen Xbox One Version von Assassin’s Creed Unity eine Woche vor dem Release zur Verfügung gestellt.
Ein Kommentar zu „Assassin’s Creed Unity“
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