The Flower Collectors

Die Auswahl, welches Videospiel ich spiele und über welchen Titel ich einen Beitrag verfasse, ist zum einen davon abhängig was ich während der letzten Wochen gespielt habe und auch in welche Richtung meine Stimmung inhaltlich während meiner Schreibphasen tendiert. Dieser Beitrag dreht sich um The Flower Collectors, einem Videospiel mit starkem Fokus auf die erzählte Geschichte. Der Titel spielt in den 1970ern während der politischen Protestbewegungen in Barcelona und erzählt eine fast schon klassische Detektivgeschichte, welche es als Videospieler gilt aufzulösen und zu erleben. Aus der Egoperspektive wird beobachtet, bewertet, kommuniziert, kombiniert und viel wichtiger, die von The Flower Collectors geschaffene Atmosphäre der Videospielwelt in allen Facetten aufgesogen. Man merkt es an meinen bisher genutzten Formulierungen, der Titel hat mir gefallen oder ausgeschmückt formuliert, der Titel hat es mir auf unterschiedlichsten Ebenen doch sehr angetan. Weshalb? Ich vermute es hat etwas mit dem Thema Zielgruppen zu tun. Auch wenn ich nicht viel vom inhaltlichen Entstehungsprozess eines Videospiels verstehe, gehe ich davon aus, dass Videospiele mehr oder weniger mit unterschiedlichen Zielgruppen im Hinterkopf entworfen und entwickelt werden. Um diesen Gedanken zu verdeutlichen, versuche ich diesen anhand von The Flower Collectors möglichst strukturiert auszuführen.

The Flower Collectors PC Packshot

Die offensichtlichste Zielgruppe, die vom Titel angesprochen wird, sind Videospieler die gerne Titel, die von der Geschichte getrieben werden, spielen oder fast schon eher konsumieren. Es geht hierbei weniger um komplexe Abläufe oder gefinkelte Wendungen, sondern einfach ganz klassisches Erzählen eines Ablaufs mit den dem Medium zur Verfügung stehenden Mitteln und Werkzeugen. Neben der geschickten Nutzung der technischen Möglichkeiten, glänzt The Flower Collectors auch mit einer von Anfang bis Ende als Gesamteinheit wirkenden Geschichte, mit einem durchgehenden roten Faden. Es gibt unerwartete Wendungen, es laufen Geschehnisse anders als erwartet ab, aber rückblickend fügen sich diese Elemente passend in den generellen Spannungsbogen ein. Nichts ist für diese Zielgruppe unbefriedigender, als wenn eine Geschichte das falsche Erzähltempo hat oder sich im Verlauf der Geschichte inhaltlich etwas verzettelt oder in das Absurde abdriftet. The Flower Collectors erzählt seine Geschichte konsequent richtig und darauf liegt auch ein sehr großer Fokus. Dieser geht soweit, dass Videospielmechaniken zugunsten der Geschichte eine reduzierte Relevanz haben, was aber meiner Ansicht nach aufgrund des gesetzten Fokus weder stört noch von mir als nachteilig empfunden wurde. Dasselbe gilt für die Zeit, welche man mit dem Titel verbringt. Um es auf den Punkt zu bringen, man ist an einem oder maximal zwei Abenden mit The Flowers Collectors durch. Natürlich kann man den überschaubaren Umfang des Videospiels kritisieren, aber am Ende läuft es immer auf die Frage der Perspektive sowie der Erwartungshaltung hinaus. Bei Videospielen mit einem solchen Fokus auf die Geschichte, bevorzuge ich kürze intensivere Videospielerfahrungen gegenüber künstlich in die Länge gezogenen Strecken.

Bei der nächsten Zielgruppe fällt es mir etwas schwieriger diese mit ein oder zwei Begriffen zusammenzufassen. Am ehesten lässt sich die Gruppe wohl mit einer Vorliebe für Eye Candy beschreiben, wobei die Begrifflichkeit eigentlich auch nicht ganz korrekt ist. Der visuelle und auch akustische Stil von The Flowers Collectors ist speziell und sticht positiv ins Auge sowie Ohr. Das Flair von Barcelona in den 1970er-Jahren wird durch die gewählte Farbpalette, die dauerhafte Audiokulisse sowie die musikalische Inszenierung gefühlt nahezu perfekt eingefangen. Ehrlicherweise habe ich keine Ahnung, ob das dadurch vermittelte Gefühl auch nur annähernd einer damaligen Realität entspricht, es erfüllt aber meine durch von Klischees getriebene Vorstellung der Stadt zu dieser Zeit. Sowohl Optik als auch Ton sind in sich geschlossen kombiniert stimmig und der gewählte Grafikstil hebt The Flowers Collectors aus der Masse anderer Titel angenehm heraus.

Im Rahmen der nächsten Einordnung musste ich schmunzeln, sogar mehrfach, da diese Einordnung auch in der Beschreibung des Videospiels hervorgehoben wird. Wörtlich nämlich wie folgt: Lerne facettenreiche Charaktere in Tiergestalt in einer atmosphärischen Welt kennen. Und was dasteht, ist auch Programm in The Flowers Collectors, denn im gesamten Titel gibt es keine Menschen, alle Charaktere sind anthropomorphe Tiere und damit spielt das Videospiel auch bewusst. Eine Eule verkörpert den Pfarrer, ein Hund einen Polizeidetektiv, Meerschweinchen schlüpfen in die Rolle von zwei Mechanikerinnen und man selbst ist ein an den Rollstuhl gebundener Bär, der nach einem Unfall aus dem aktiven Polizeidienst ausgeschieden ist. Welche Zielgruppe ich hier anspreche? Die Subkultur der Furries, Personen die ein Interesse an anthropomorphen Tieren in Schrift, Bild, Ton und der Realität haben. In meinem engen sowie erweiterten Freundes- sowie Bekanntenkreis tummeln sich einige Personen, welche sich selbst dem Furry-Fandom zuordnen und auch ich verstehe sowie teile in gewissen Bereichen sowohl die Faszination als auch Begeisterung, die manche innerhalb dieser Zielgruppe für das Thema an den Tag legen. Umso witziger fand ich meinen ersten Gedanken, als ich erstmalig Bilder zu The Flower Collectors gesehen habe, denn mir kam unerwartet der Gedanke der Furry-Community gepaart mit einem breiten Grinsen in den Sinn. Realistisch kann ich nicht mit Gewissheit sagen, ob das Videospiel mit dieser Zielgruppe im Hinterkopf entwickelt wurde, aber ich kann es mir zumindest aufgrund der Darstellung und der Art und Weise wie diverse Rollen in der Geschichte besetzt sind, durchaus gut vorstellen. Das Schöne bei der Art wie Charaktere in Form anthropomorpher Tiere in The Flowers Collectors implementiert wurde ist, dass dies ungewohnt glaubwürdig, nicht merkwürdig kitschig und auch gleichzeitig einen netter erzählerischem Kniff darstellt, welcher die erzählte Geschichte aufgrund der den Tieren von der Menschheit zugeordneten gesellschaftlichen Attributen zusätzlich unterstützt.

Eine letzte Zielgruppe, die mir beim Spielen des Titels in den Sinn gekommen ist, ist eigentlich keine Zielgruppe in dem Sinn. Um es abzukürzen, The Flowers Collectors ist für alle Menschen gemacht, im Prinzip für jeden von uns. Weshalb? Um etwas zu lernen, um etwas zu erkennen, um etwas zu verstehen. Im Videospiel schlüpft man in die Rolle des an den Rollstuhl gebundenen Jorge, welcher früher in einer Polizeieinheit seinen Dienst verrichtet hat und dessen Bewegungsradius die eigenen vier Wände, ein paar Quadratmeter im Treppenhaus und sein Balkon ist. Für mich ist es, auch nach längerem Nachdenken, das erste Videospiel, in dem ich in die Rolle einer Person mit einer Behinderung schlüpfe und die damit verbundenen Auswirkungen im Verlauf des Videospiels im Prinzip selbst erlebe. Dies beginnt im konkreten bei der Art und Weise der Bewegung sowie Geschwindigkeit, es geht weiter mit einer geänderten Perspektive samt der Einrichtung und natürlich den vorhandenen Möglichkeiten in einem virtuellen Barcelona der 1970er-Jahre als jemand im Rollstuhl. The Flowers Collectors nutzt die Behinderung der Spielfigur, um eine Geschichte zu erzählen, die Geschichte von The Flowers Collectors funktioniert nur aufgrund der Behinderung. Was der Titel aber nicht macht, die Behinderung als Vorwand zu nutzen oder die Auswirkungen als simples Werkzeug zur Rechtfertigung. Die Art der Umsetzung ist eher das Gegenteil, denn es regt Menschen ohne Behinderung an, über das Thema nachzudenken und auch unbewusst über den Umgang mit Behinderten in unserer Gesellschaft zu reflektieren. Umso stärker war dies bei mir der Fall, da ich im persönlichen Umfeld seitdem ich denken kann nahezu täglich mit dem Thema konfrontiert bin und im Laufe der Zeit auch viele Personen mit unterschiedlichen Behinderungen kennenlernen durfte. Diese Erfahrungen im Verlauf der letzten 36 Jahre waren für mich persönlich prägend und ich bin auch der Meinung, dass diese Erfahrungen und die daraus für mich gewonnenen Erkenntnisse viele meiner Entscheidungen der letzten Jahre unbewusst beeinflusst haben. Ich bin der Meinung, erst wenn man tatsächlich mit dem Thema Behinderung realistisch in Kontakt gekommen ist, kann man es zumindest teilweise versuchen zu verstehen. The Flowers Collectors, konkret der Umgang und die Implementierung mit dem Thema Behinderung im Videospiel, haben mich teilweise an frühere Erfahrungen von mir erinnert und das ist ehrlich gesagt etwas äußerst Positives. The Flowers Collectors spielt in keinem Moment mit dem Thema Behinderung, The Flowers Collectors macht das Thema Behinderung aber für Menschen ohne Behinderung zumindest teilweise fühlbar und vermittelt etwas, was meiner Ansicht nach sehr wichtig für ein gemeinschaftliches Leben unsere Gesellschaft ist. Ich rede nicht über Einschränkungen, Limitierungen oder Begrenzungen, sondern über eine andere Sichtweise auf das Leben, eine andere Lebenseinstellung.

Wenn ich wollte, könnte ich die Auflistung noch etwas fortsetzen. The Flower Collectors spricht viele und unterschiedliche Zielgruppen auf die eine oder andere Art an. Die vier für mich wichtigsten Zielgruppen, Zielgruppen, zu denen ich mich selbst zähle oder auch zugehörig fühle, habe ich mit diesem Text ausgeführt und hoffentlich auch verständlich strukturiert erklärt. Was jedoch als Fazit für mich hängen geblieben ist, dass The Flower Collectors eine spannende, reizvolle und für mich auch interessante Videospielerfahrung darstellt, welche ich wirklich weiterempfehlen kann. Zum einen wegen der Geschichte, zum anderen wegen des Stils, aber auch wegen der Art der Implementierung von Elementen der Furry-Community und selbstverständlich dem Umgang mit dem Thema Behinderung. Wer Abwechslung von klassischen Videospielen in Form einer klassischen Geschichte mit weniger klassischen Elementen sowie Themen sucht, sollte The Flower Collectors erleben.

Gespielt wurde The Flower Collectors auf einem Surface Pro. Entwickelt wurde und vertrieben wird der Titel vom österreichischen Entwicklungsstudio Mi’pu’mi Games. Das Videospiel ist für den PC erhältlich. Digitale Bezugsmöglichkeit sind GOG.com (DRM freier PC-Direktkauf), Steam (PC-Direktkauf) und dem Microsoft Store (PC-Direktkauf). Preislich liegt das Videospiel bei etwa 20 Euro. Hinweis hinsichtlich Transparenz: Das Videospiel wurde mir kostenlos in Form eines Download-Codes zwecks Berichterstattung bereitgestellt. Zu Mitarbeitern des Entwicklungsstudios besteht persönlicher Kontakt. Beides hatte jedoch keinen Einfluss auf den Inhalt des Textes oder ob ich einen Text zum Videospiel veröffentliche.

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