2000 waren für mich mehrere Abonnements einschlägiger Videospielmagazine genauso selbstverständlich wie die Kenntnis der Erscheinungszyklen (z. B. dritter Mittwoch des Monats, wenn es in der letzten Woche des Vormonats keinen Vollmond gab). Die genauen Veröffentlichungstermine der wichtigsten Spiele des Jahres wurde spätestens im Mai vor dem inneren Augen memoriert und bei Terminverschiebungen automatisch adaptiert. Jede relevante Neuigkeit gelesen, jeder Vorschaubericht studiert und alle Screenshots analysiert. Videospieljournalisten in vordefinierten Schubladen kategorisiert und die Qualität von Videospielen zusätzlich am Entwicklungsstudio und den Entwicklern gemessen.
2012 sind unabhängige Blogs und Podcast meine primäre Informationsquelle. Die Datumsgenauigkeit anstehender Veröffentlichungen beschränkt sich im besten Fall auf das Monat, meistens jedoch nur auf das Quartal. Die oft bis ins letzte Detail durchgeplanten Informationskampagnen der Industrie ziehen abgesehen der Erstankündigungen spurlos vorüber und öfter als selten finden sich Spiele erst Monate nach der Veröffentlichung auf dem heimischen Schreibtisch. Der einzige Videospiel-Redakteur dessen Geschmack ich heute einschätzen kann ist @consalex und wenn ich es schaffe ein Spiel einem Publisher zuzuordnen, dann klopfe ich mir selbstlobend auf die Schulterblatt.
144 Monate sind vergangen und auch wenn sich während einer solchen Zeit vieles verändert, nimmt das Thema Videospiele gefühlt eine ähnliche Rolle wie früher ein. Einzig die Fokussierung ist anders: Früher war jeder Informationsfetzen rund um ein Spiel relevant, heute ist es das Spiel und die Materie selbst. Es ist egal welches Studio ein Spiel entwickelt, die Gameografie einzelner Entwickler ist ohne Belang und solange ein Spiel grundlegend in Ordnung ist, spielt es auch keine Rolle ob die Spielspaßmotivationskurve während der fünften Missionen leicht abfällt. Gespräche im gleichaltrigen Freundes- und Bekanntenkreis zeigen in den meisten Fällen ein sehr ähnliches Bild oder alternativ mittlerweile ein komplettes Desinteresse am Medium Videospiele. Die Gründe dahinter sind schwer zu definieren, wobei vermutlich das persönliche Wachsen mit dem Medium der Hauptgrund sein dürfte. Videospiele waren quasi flächendeckend für meine Generation ein Teil der Jugend. Die starke Entwicklung der eigenen Persönlichkeit im Jugendalter verändert und dies betrifft naturgemäß auch die Freizeitgestaltung.
185 080 Hefte beträgt die negative Differenz der PC Games Verkaufszahlen während dieses Zeitraums und der Blick auf Marktbegleiter zeigt laut IVW ein ähnlich desaströses Bild. Es ist nun ein leichtes auf den Absatz zuvor zu verweisen und eine These ala „Die Zielgruppe entwickelt sich weiter, der Videospieljournalismus nicht!“ in den Raum zu werfen. Dies ist zwar grundlegend richtig, trägt jedoch nicht die alleinige Schuld am Absatzschwund, denn einen fast gleichwertigen Anteil an der Situation trägt das Internet. Von sich gegenseitig abschreibende Newsportale gibt es wie Sand am Meer und die Zahl der generischen Pre- und Reviews stieg in den letzten Jahren gefühlt analog der Exponentialfunktion y=x^3. Die Interessensgruppe für Videospiele ist jedoch gleichzeitig während des Zeitraums gestiegen. Waren es früher primär Jugendliche, so hat sich in den letzten zwölf Jahren aufgrund der Alterung und Erweiterung der Interessengruppe der Wert gefühlt verdoppelt.
56% der Leser von Printmagazinen sind laut der Leserbefragung der consolMEDIA zwischen 14 und 29 Jahre alt. Die Zielgruppe 30 bis 39 Jahre beträgt gesamt betrachtet nur etwa 14% der Leserschaft und ich vermute, dass die Gruppe der 25 bis 29 Jährigen einen deutlich geringeren Anteil einnimmt als das fünf Jahre jüngere Pedant. In diesem Alter hat man den jahrelang vorgekauten Einheitsbrei satt und möchte keine Spieleabhandlungen anhand von Fakten und belanglosen Zahlenkolonnen mehr lesen. Man erwartet Texte, die sich mit Videospielen beschäftigen und nicht zu 75% aus 0815 Textbausteine bestehen. Die Standardisierung von Inhalten in Printmagazinen geht mittlerweile sogar soweit, dass vielen Publikationen der eigenen Identität beraubt wurden und Texte innerhalb von Magazinen beliebig austauschbar sind. Viele Redaktionen beherbergen mehr Praktikanten als Journalisten, was sich spürbar auf die textliche Qualität auswirkt.
246,30 Euro betrugen meine Reisefixkosten (Flug plus zwei Hotelübernachtungen) für drei Tage gamescom im Jahr 2011. Dieser Betrag steht stellvertretend für eines der großen Probleme des professionellen Videospieljournalismus: Der Integrität. Ein selbst erschaffenes Problem (welches auch in anderen Sparten des Fachjournalismus vorhanden ist), wobei keiner der betroffenen dieses so wirklich zu lösen versucht. Die Industrie möchte Spiele verkaufen, ein Journalist möchte eine Meinung verbreiten und der Verlag möchte Geld verdienen. Die Industrie bezahlt den Verlag in Form von Werbebuchungen, die Industrie finanziert Pressereisen rund um den Globus und versucht gleichzeitig dem Redakteur die Arbeit so leicht wie möglich zu machen. Der Redakteur läuft nun in (s)ein Dilemma, denn wie hat nun die Berichterstattung zu erfolgen: Kritisch hinterfragt oder geschönt in Form eines 0815 Artikels? Bei der einen Variante hat die Industrie ihr Ziel durch die Verbreitung vordefinierter Inhalte erreicht, bei der anderen könnte die fütternde Hand verärgert werden. Das wäre eigentlich kein großes Problem, jedoch sind Journalisten in der heutigen Zeit oftmals schlecht bezahlt und aufgrund eines fehlenden Profis sowie Textbausteinartikel schnell ersetzbar. Die Industrie kündigt keine Journalisten, Verlage mit einem spürbaren Umsatzrückgang bei Anzeigenbuchungen aufgrund eines verärgerten Werbekunden leider schon.
69,61% weniger verkaufte Hefte hat die PC Games stellvertretend als damals auflagenstärkstes Printmagazin innerhalb von zwölf Jahren eingebüßt. Einheitsbrei, fehlende inhaltliche Weiterentwicklung und oft mangelnde Integrität haben dazu geführt. Generische Onlinemagazine kämpfen mit ähnlichen Problemen und auch Blogger stellen nicht immer den heilige Gral dar. Ein Testmuster hier, eine Einladung dort und schon beginnt das Dilemma mit der fütternden Hand in abgeschwächter Form. Es ist an der Zeit aufzuwachen, die eigene Integrität wieder an vorderster Front zu platzieren und Inhalte vor jegliche finanzielle Motivation zu stellen. Dann klappt es vielleicht auch wieder mit der Zielgruppe, es sei denn andere bieten besser Inhalte zu keinem Preis.