Videospiele begleiten mich mein halbes Leben und haben sich seit meinen ersten Erfahrungen mit dem Medium stark gewandelt. Konkret geht es mir bei diesem Gedanken nicht um die offensichtlichen audiovisuellen Verbesserungen im letzten Jahrzehnt, sondern mehr um die Änderungen der spielerischen Komponenten. Am einfachsten lässt sich diese wohl mit der leicht pauschalierten Aussage beschreiben, dass Videospiele hinsichtlich des Umfangs gewachsen sind, wenn man genauer darüber nachdenkt sogar massiv gewachsen sind. Die aktuelle Motivation als auch die Gründe dahinter sind unterschiedlich und beginnen beim mittlerweile etablierten Konzept der offenen Videospielwelten über alle Genres hinweg, dem Ziel Videospieler möglichst lange an einen Titel zu binden oder auch die Kombination beider Aspekte. Das hierfür am häufigsten genutzte Element ist nicht neu, sondern bestenfalls nur an die aktuellen Anforderungen angepasst. Warum es in diesem Beitrag nun geht? Um ein paar Gedanken zu Nebenaufgaben in heutigen Videospielen.
Nebenaufgaben in Videospielen sind nicht neu, jedoch hat gefühlt die quantifizierbare Menge pro Titel in den letzten Jahren stetig zugenommen und auch der Einsatz in fast allen Genres gehört heute zum modernen Standard. Die ursprüngliche Motivation für Nebenaufgaben aus Sicht eines Entwicklers war die Anreicherung des Videospiels um Elemente neben dem primären Handlungsstrang. Manchmal zur kurzweiligen Ablenkung, dem Unterbringen von Inhalten die man aus Gründen nicht im primären Videospielverlauf unterbringen wollte oder auch der Möglichkeit den Videospieler mehr von der geschaffenen Videospielwelt zu vermitteln. Auch heute ist die Motivation auf den ersten Blick ähnlich, denn in Titeln mit einer offenen Videospielwelt, sind es fast ausschließlich die Nebenaufgaben die diese lebendig machen. Denkt man länger darüber nach, lässt sich die aktuell übliche Integration von Nebenaufgaben in grob drei Bereiche einordnen.
Der offensichtlichste Bereich ist die Fortführung von Nebenaufgaben wie immer. Neben dem primären Erzählstrang sind diese optional und erfüllen dieselben optionalen Aufgaben wie bisher. Sie können eine inhaltliche Pause von der eigentlichen Aufgabe darstellen um den Videospieler während des Spielens gezielt zu unterbrechen und dadurch von sehr häufig vorhandenen Wiederholungen von Videospielmechaniken ablenken. Ebenso kann das Erfüllen einer Nebenaufgabe dem Videospieler einen direkten Vorteil verschaffen, um eine nachgelagerte Herausforderung einfacher absolvieren zu können. Dritte Möglichkeit ist das Vermitteln zusätzlicher Informationen, die keinen nachhaltigen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Videospiels haben, aber den Videospieler erlauben sich intensiver mit der Videospielwelt auseinanderzusetzen.
Wendet man diese Grundelemente auf bereits erwähnte und in den letzten Jahren allgegenwertige Titeln mit einer offenen Videospielwelt an, hat man das aktuell häufigste Nutzungsszenario von Nebenaufgaben. Neben dem Verlauf der Hauptgeschichte, werden diese zwar weiterhin genutzt um alle drei zuvor beschriebenen Aufgaben zu erfüllen, dies kann jedoch aufgrund der Skalierung der Videospielwelt von einer positiven Erfahrung schnell ins Gegenteil kippen. Videospielwelten sind mittlerweile groß, oftmals ausufernd unmenschlich groß. Vor Jahren wurde jede Nebenaufgabe sorgsam entworfen und aufwändig in das Videospiel integriert. Aufgrund des enormen Umfangs aktueller Videospiele ist dies nur mehr mit massiven Aufwänden möglich. Die Lösung des Problems ist ein System von Nebenaufgabenvorlangen. Bedeutet konkret, dass nur mehr allgemeine Rezepte samt beliebiger Variablen für Nebenaufgaben erstellt werden. Das Resultat sind zwar am Papier unterschiedliche Nebenaufgaben, welche sich aber mit etwas Abstand betrachtet im Verlauf der Videospielerfahrung stetig wiederholen. Die offene Videospielwelt wirkt zwar belebt und der Videospieler kann sich auch lange spielerisch austoben, aber der ursprüngliche Gedanken einer inhaltlichen Pause geht verloren. Weshalb? Weil die Nebenaufgaben durch die Skalierung unbewusst zur Hauptaufgabe mutieren und der eigentlich im Fokus stehende primäre Erzählstrang zur angenehmen Ablenken gegenüber der Erledigung dieser wird.
Der dritte Bereich setzt den letzten Gedanken konsequent fort und geht hinsichtlich der Hauptaufgabe noch einen Schritt weiter, nämlich in die bewusste Reduzierung dieser. Die Methodik dahinter ist, dass das Videospiel zwischen den einzelnen Elementen der Hauptaufgabe nur mehr aus Nebenaufgaben besteht. Es gilt eine gewisse Anzahl davon zu absolvieren um den nächsten Abschnitt der primären Geschichte absolvieren zu können. Eine Art der Integration die sich mit Begriffen wie unendlich viele abwechslungsreiche Aufgaben, der Freiheit zu Spielen wie es der Videospieler möchte und einer lebendigen dynamischen Videospielwelt vermarkten lässt, ist nüchtern betrachtet jedoch nur die Manifestierung von Nebenaufgaben als größter Teil einer Videospielerfahrung. Dieser Ansatz kann funktionieren, ist aber sehr stark vom Genre des Titels, den Vorlieben des Videospielers und der Komplexität des Systems der Nebenaufgabenvorlangen abhängig.
Was bisher stark theoretisch klingt, ist in der Praxis gar nicht schwierig nachzuvollziehen. Moderne Rollenspiele sind voller Nebenaufgaben und die inhaltliche Qualität schwankt von stark generischen Nebenaufgaben in Skyrim bis hin zu generisch generierten aber manuell implementierten Herausforderungen in The Witcher 3: The Wild Hunt. Die Nebenaufgaben in Videospielen der Action-Abenteuer-Serie Assassin’s Creed haben sich von stark generischen Sammelherausforderungen in den ersten Teilen, über generisch wiederholende Jagd- sowie Suchaufgaben in den letzten paar Ablegern zu doch ganz robusten als auch oberflächlich abwechslungsreichen Aufgaben in Assassin’s Creed Origins gewandelt. In Far Cry 5 findet man das zuletzt beschriebene Konzept mit Nebenaufgaben in unterschiedlichen Gebieten, die nach und nach den eigentlichen primären Erzählstrang des Videospiels im jeweiligen Gebiet freischalten. Exakt dieselbe Logik gibt es auch in Rennspielen wie Forza Horizon 3, welches dem Videospieler eine unmenschlich hohe Anzahl an Rennstrecken und Renntypen anbieten und nach erfolgreicher Absolvierung von einem gewissen Prozentsatz ein Weiterkommen in neue Gebiete ermöglicht und oder spezielle Rennveranstaltungen freigeschaltet.
Egal welches aktuelle Videospiel man auch hinsichtlich Nebenaufgaben betrachtet, es wird immer einer dieser drei Ansätze verfolgt. Egal welches aktuelle Videospiel man auch spielt, generische Nebenaufgaben werden immer häufiger den Hauptteil eines Titels ausmachen. Egal welches aktuelle Videospiel man auch spielt, Nebenaufgaben können sich bei unüberlegter Integration schnell anstelle von Unterhaltung wie harte Arbeit, konkret sich stetig wiederholende Arbeit anfühlen. Eine Videospielwelt mit Nebenaufgaben zu füllen ist zum modernen Standard in Videospielen geworden, diese aber spielmechanisch sinnvoll und abwechslungsreich zu integrieren ist die große anstehende Herausforderung der nächsten Jahre.