Complexity

Leider kann ich mich nicht mehr genau an das Jahr erinnern, aber der Moment, in dem ich das erste Mal ein NES-Gamepad in den Händen gehalten habe ist zu einer bleibenden Erinnerung geworden. Es war nicht mein erster Kontakt mit Videospielen, aber der Kontakt, bei dem meine Begeisterung für das Medium entfacht wurde. Super Mario Bros. war das Modul im Schacht des NES und ich bin gnadenlos immer und immer wieder mangels Augen-Hand-Gamepad-Koordination gescheitert. Rückblickend schmunzle ich darüber, erst recht, wenn ich darüber nachdenke wie einfach sowohl das NES-Gamepad und auch der Titel war. Ein wippendes Steuerkreuz auf der linken Seite, zwei runde Knöpfe auf der rechten Seite und in der Mitte zwei kleinere Tasten für die Funktionen Start und Auswahl. Das war es, keine Schultertasten, keine Trigger und auch keine analogen Funktionen oder sonst etwas Vergleichbares. Ähnlich überschaubar war Super Mario Bros., es war einfach aber nicht simpel. Mit dem NES-Gamepad steuert man die Spielfigur am Bildschirm von links nach rechts, man kann mit einem Knopf die Spielfigur springen lassen und mit dem anderen nach Einsammeln der Feuerblume auf Knopfdruck Feuerbälle schleudern. Nichts davon wird direkt erklärt, der Aufbau des ersten Levels ist so perfekt optimiert, dass man innerhalb von Sekunden alles erfasst, versteht und auch umsetzen kann. Es gibt keine Hinweise in Form von Textblöcken, keine deutenden Pfeile und auch kein Tutorial wie man es von heutigen Videospielen kennt. In den letzten zwölf Monaten habe ich unter anderem Mittelerde: Schatten des Krieges, Spider-Man, State of Decay 2 und Assassin’s Creed Origins gespielt und all diese Titel sind exakt genau das Gegenteil von einfach. Die Komplexität ist im Laufe der Videospielkonsolen-Generationen stetig gestiegen und erreicht aktuell einen fragwürdigen Grad. Vor wenigen Tagen habe ich einige Beiträge zu Red Dead Redemption 2 gelesen und trotz unterschiedlicher Meinung gab es einen gemeinsamen Punkt in den Texten, die hohe Komplexität des Titels.

Was unter die Umschreibung hohe inhaltliche Komplexität fällt? Viel, erst recht in Videospielen mit einer offenen Videospielwelt. Inhaltlich beginnt es mit einer fast unüberschaubaren Anzahl an unterschiedlichen Aufgaben und Tätigkeiten, welche der Videospieler individuell absolvieren kann aber nicht muss. Ergänzt werden diese vorgegebenen Aktivitäten um zufällig generierte Ereignisse, welche helfen sollen, den Eindruck einer lebendigen Videospielwelt und deren Dynamik zu transportieren. Zusätzlich gibt es aber noch viel mehr, salopp formuliert, Dinge, die man auch komplett ignorieren kann. Diese sehr hohe Anzahl an Möglichkeiten an Interaktion ist einer, wenn nicht sogar der wichtigste Aspekt bei Titeln mit offener Videospielwelt und genau hier beginnt die inhaltliche Komplexität. Aktivitäten, Tätigkeiten oder Dinge, die man nicht regelmäßig oder überhaupt nur ein oder zwei Mal im gesamten Verlauf des Videospiels macht, geraten rasch in Vergessenheit beim Videospieler und mehr als nur einmal wird man durch eine Hinweismeldung am Bildschirm auf eine solch vergessene Möglichkeit hingewiesen. Sieht man es positiv, ist die Menge und die damit verbundenen Möglichkeiten eine Bereicherung um den Videospieler einen Titel auf seine Art und Weise spielen zu lassen. Sieht man es negativ, ist es zusammengefasst zu viel Videospiel und zu verwirrend um als Videospieler alle Möglichkeiten stetig im Hinterkopf zu behalten und diese im richtigen Moment auch tatsächlich anzuwenden zu können.

Neben dem inhaltlichen Aspekt gibt es mittlerweile auch häufig eine hohe Komplexität hinsichtlich der Steuerung von Videospielen. Bestand das NES-Gamepad noch aus einer überschaubaren Anzahl an Elementen, sind die aktuellen Controller der Nintendo Switch, Xbox One als auch PlayStation 4 mit einem Vielfachen an Möglichkeiten ausgestattet. Analoge Sticks die auch als Taste funktionieren, Schultertasten sowie analoge Trigger, zumindest vier drucksensitive Knöpfe und berührungsempfindliche Flächen sind mittlerweile der Standard. Umso bedenklicher wird es, wenn man realisiert, dass viele Videospiele die Tasten nicht nur schon doppelt, sondern als wäre es das Normalste überhaupt, dreifach durch das zusätzliche Drücken von Schultertasten belegt und zusätzlich die Funktionen einzelner Knöpfe sich noch dynamisch je nach Situation im Videospiel unterscheiden kann. Das klingt unheimlich komplex, es ist unheimlich komplex und kann einen als Videospieler in den Wahnsinn treiben.

Aber braucht es tatsächlich diese hohe Komplexität in Videospielen. Mit jedem neuen Controller einer jeden neuen Videospielkonsolen-Generation gab es zusätzliche Funktionen, die man als Entwickler nutzen konnte und mit höherer Leistung der Geräte wurden auch immer mehr Funktionen in Videospielen eingebaut. Es ist der Drang nach mehr, der Drang alles zuvor Vorhandene zu übertrumpfen, aber irgendwie ist es mittlerweile zu viel. Bei Mittelerde: Schatten des Krieges brauche ich nach einer kurzen Pause von ein paar Tagen etwa zehn Minuten um mich wieder mit der Steuerung vertraut zu machen und bin dankbar für die auftauchenden Hinweise bezüglich der unterschiedlichen Möglichkeiten. Obwohl ich den Titel bereits mehrere dutzende Stunden gespielt habe, entdecke ich immer wieder neue Dinge in einem von Möglichkeiten überfüllten Fähigkeitsbaum meines Alter Egos. Anders formuliert, mein Spielstand ist laut Anzeige bei mehr als 80% Fortschritt im Titel und ich habe noch immer nicht alle Möglichkeiten verstanden, erfasst geschweige denn verinnerlicht. Oder zurück zu Red Dead Redemption 2, einem laut der Berichterstattung grandiosen Videospiel, welches im besten Fall in Sitzungen von drei bis vier Stunden erlebt werden sollte. Warum drei bis vier Stunden? Weil man aufgrund der komplexen Steuerung und der Art der Implementierung etwas länger braucht um sich der Videospielwelt, dem eigentlich Höhepunkte des Titels, wirklich hingeben zu können. Kurz mal für eine halbe Stunde in den wilden Westen eintauchen, eher nicht empfehlenswert.

Was ist nur passiert, dass Videospiele stetig mit interaktiven Hinweistexten auf Funktionen sowie Möglichkeiten hinweisen müssen oder nur in Blöcken von mehreren Stunden gespielt werden sollten? Aber es geht auch anders, denn es gibt auch Videospiele, die trotz oder genau wegen ihrer einfachen Komplexität gut sowie befriedigende Unterhaltung bieten. Meist sind es die Titel, die sich auf eine Videospielmechanik konzentrierten. Ein für mich überraschend positives Beispiel hierbei ist Doom aus dem Jahr 2016, welches viele klassische Elemente seiner Jahrzehnte alten Vorgänger übernommen hat, aber auch für die aktuelle Generation an Videospielern optimiert wurde. Ungewohnt für einen aktuellen Titel des Genres der Ego-Shooter gibt es nur eine Bewegungsgeschwindigkeit der Spielfigur, Munition sowie andere Gegenstände werden automatisch eingesammelt, Waffen können nicht nachgeladen werden und es gibt vereinfacht neben der Taste zum Abschuss der Waffe nur noch eine Taste zum Springen sowie eine weitere zur Interaktion mit der Videospielwelt. Ende, mehr findet sich hinsichtlich Elemente und Videospielmechaniken nicht im Titel und vermutlich genau deswegen funktioniert der Titel so gut. Die Steuerung ist in wenigen Momenten verinnerlicht, egal wie lange die Abstände zwischen den Spielsitzungen auch sind und die Steuerung ist so schnell verinnerlicht, dass auch eine kurze Sitzung perfekt funktioniert. Ebenso gibt es wenig darüber nachzudenken was man genau nun macht, aber genug darüber nachzudenken wie man es innerhalb der bestehenden Limitierungen am besten macht. Unabhängig was man über die übertriebenen Gewaltdarstellung beim Eliminieren von Gegnern in Doom auch denkt, der Titel ist dank der Einfachheit hinsichtlich Steuerung und Videospielmechaniken sehr befriedigend und ein zumindest für mich unerwarteter Höhepunkt des Mediums Videospiele in den letzten Jahren. Erfrischend einfach, erfrischend anders irgendwie.

Ich mag Videospiele mit einer offenen Videospielwelt, ich liebe es eine offene Videospielwelt zu erkunden und ich freue mich immer noch, wenn ich mich das erste Mal in einer neuen offenen Videospielwelt wiederfinde. In den letzten Jahren nimmt mein Ärger über die hohe Komplexität aber zu und führt aktuell dazu, dass Spider-Man und Mittelerde: Schatten des Krieges vorerst die letzten beiden Titel dieser Art für mich waren. Bedeutet aktuell kein komplexes Red Dead Redemption 2 und kein ausuferndes Assassin’s Creed Odyssey für mich. Weswegen? Weil situationsabhängige Hinweis ein Weg sind die Problematik hinsichtlich hoher Komplexität zu entschärfen, aber für mich aktuell keine wirklich befriedigende Lösung des komplexen Problems darstellen.

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