Im Jahr 2002 startete Microsoft mit der Original Xbox und dem Vorsatz die bestehende Marktdominanz im Wohnzimmer von Sony mit der PlayStation 2 zu brechen, ein gefühlt sehr später Einstieg in den Markt für Videospielkonsolen. Der Kampf um Marktanteile wurde begleitet von jahrelangen Investitionen um überhaupt wahrgenommen zu werden und um eine kritische Masse an Videospieler zu erreichen. Der Nachfolger der Original Xbox, die Xbox 360, baute auf den gewonnenen Erkenntnissen auf und wurde aufgrund der Kombination aus Preis, Zeitpunkt der Veröffentlichung sowie Fokussieren auf Videospiele als auch dem Xbox Live-Netzwerk die relevanteste der drei Plattformen. Weder Nintendo noch Sony definierten die siebte Generation der Videospielkonsolen so nachhaltig wie Microsoft mit Xbox Live. Und dann kam die Xbox One und die aus heutiger Sicht fragwürdige TV-Strategie, welche die Position der Marke Xbox am Markt deutlich schwächte. Anstelle von Videospielen standen das TV-Programm, Serien und Filme im Fokus und obwohl das durch Zahlen belegte Nutzungsverhalten der Videospieler stark in diese Richtung ging, wurde Microsoft von der Kernzielgruppe mit dem Kauf der PlayStation 4 und einem ordentlichen Dämpfer gestraft. Es folgten personelle Änderungen im Management, eine erneute Fokussierung auf die Wünsche der Kernzielgruppe, massive Investitionen um sich aus der im Vergleich zur PlayStation 4 nur bedingt erfolgreichen Startphase zu erholen und der Versuch an den Erfolgen der Xbox 360 anzuknüpfen. Aber was ist nun die Strategie von Microsoft für die Xbox?
Auf der diesjährigen E3 gab es neben den Ankündigungen von Videospielen auch zwei Ausblicke in die Hardwarezukunft. Den Start machte die Xbox One S, welche eine überarbeitete Version der Xbox One ist. Mit einem kompakteren Formfaktor, minimal mehr Leistung, der Unterstützung neuer Bildausgabemodi und einem überarbeiteten Design, wird Microsoft diese Version spätestens nach dem diesjährigen Weihnachtsgeschäft und dem Abverkauf der alten Modelle als neuen Standard definieren. Neben produktionstechnischen Vorteilen ist es der Versuch, mit der neuen Variante die in den Köpfen der Kunden existierenden Vorurteile zu beseitigen. Spannender jedoch war jedoch der zweite Ausblick, welcher die Ankündigung von Project Scorpio war. Mit dem Untertitel der leistungsstärksten Videospielkonsole aller Zeiten gab Microsoft einen Ausblick auf die nächste Hardware-Generation der Xbox, die wohl im Herbst 2017 erscheinen wird und meiner Einschätzung nach nicht der direkte Nachfolger zur Xbox One oder Xbox One S sein wird.
Project Scorpio löst für Microsoft zwei Probleme, den bisher relativ langen Zeitabstand zwischen unterschiedlichen Hardware-Generationen und die Möglichkeit die Wünsche der Kernzielgruppe nach besserer Hardwareleistung zu befrieden, als auch gleichzeitig neue Hardware zu einem Premiumpreis zu verkaufen. Das Gefinkelte wird nämlich sein, dass Project Scorpio und die Xbox One in jeglicher Hinsicht vollständig kompatibel zueinander sein werden. Egal ob Zubehör wie Controller oder die Videospiele selbst, alles was in den dann vier Jahren seit dem Start der Xbox One erschienen ist oder in den darauffolgenden vier Jahren erscheinen wird, wird auf beiden Videospielkonsolen funktionieren und natürlich auch über Xbox Live vollständig kompatibel sein. Videospiele die nach der Veröffentlichung von Project Scorpio erscheinen, werden Vorzüge wie eine höhere Auflösung, die Unterstützung von Virtual Reality oder kürzere Ladezeiten haben, jedoch auch ohne Kompromisse auf der dann alten Xbox One Hardware-Plattform nutzbar sein. Dieser Kompatibilität wird zumindest so lange aufrechterhalten, bis nach etwa vier Jahren Project Scorpio durch eine neue Hardware-Generation abgelöst wird und analog wie die Hardware-Generation der Xbox One für weitere vier Jahre die Kompatibilität mit dem Nachfolger sicherstellen wird. Dies beschleunigt für Microsoft die Möglichkeit zur Innovation durch häufiger verfügbare neue Hardware-Generationen, die Möglichkeit der zahlungswilligeren Kernzielgruppe neue Hardware zu verkaufen, dennoch die gewohnte Langlebigkeit von Videospielkonsolen für zumindest acht Jahre zu erhalten und quasi eine Wertsicherung durch die über mehrere Generationen vorhandene Kompatibilität zu bieten.
Das total verrückte ist jedoch auch, dass der Verkauf von Hardware für die Xbox Strategie von Microsoft kein Kernpfeiler mehr ist. Unter dem Begriff Xbox Play Anywhere verwirklicht der Konzern das seit Jahren herumschwirrende Konzept des einmaligen digitalen Kaufs und der Nutzung auf unterschiedlichen Plattformen, konkret Windows 10. Alle von Microsoft in den kommenden Monaten angekündigten Videospielen unterstützen Xbox Play Anywhere und werden gleichzeitig für die Xbox als auch Windows 10-PCs veröffentlicht. Bisher konsolenexklusive Marken wie Gears of War, Forza Horizon, Halo Wars oder Crackdown erscheinen damit nicht mehr exklusiv für Käufer der Xbox, sondern können auch auf jedem entsprechend leistungsstarken PC gespielt werden. Was anfänglich wie die Kannibalisierung der Vorteile der Videospielkonsole wirkt, macht durchaus Sinn. Xbox steht bei Microsoft nicht mehr für das Gerät unter dem Flachbildfernseher, sondern für alles rund um das Thema Videospiele im Konzern. Für Microsoft ist nicht mehr wichtig auf ob ein Videospiel auf besagten Flachbildschirm im Wohnzimmer oder am PC im Arbeits- oder Kinderzimmer läuft, das wirklich wichtige für Microsoft ist, dass der Titel gekauft wird und je größer die mögliche Zielgruppe ist, desto höher ist schlussendlich auch die Anzahl an verkauften Einheiten. Aber nicht alleine die Erhöhung des möglichen Absatzmarktes ist für Microsoft relevant, auch die Art des Verkaufs. Videospiele für den PC werden mittlerweile primär durch digitale Vertriebskanäle abgesetzt, Titel für Videospielkonsolen weiterhin über den klassischen Handel. Xbox Play Anywhere funktioniert jedoch nicht mit den Versionen aus dem klassischen Handel, sondern rein mit den digitalen Versionen der Titel. Es ist der nächste Schritt von Microsoft den eigenen digitalen Absatz bei Steigerung der Gewinnspanne durch den Wegfall von Zwischenhändlern zu stärken, den Käufern Vorteile in Bezug auf Plattformverfügbarkeit zu bieten und ganz nebenbei unliebsame Nachteile von physischen Versionen zu eliminieren.
Die dritte Säule der Strategie dient zur Stärkung der digitalen Vertriebsplattform und ist gleichzeitig die Positionierung von Xbox Live als Serviceplattform. Mit den Mitte des Jahres angekündigten neuen Funktionen der Plattform wie Clubs zur einfacheren Kommunikation in unterschiedlichen Gruppen, der automatischen Gruppensuche anhand von diversen Kriterien und dem Turnierbereich Arena baut Microsoft das bereits vorhandene soziale Netzwerk für Videospieler aus. Kombiniert man diese Ansätze mit der erst vor kurzem stattgefundenen Akquise des interaktiven Streamdienstes Beam, dann erkennt man den Fokus auf die stärkere Bindung an die eigene Serviceplattform. Egal wann, egal wo, egal wie soll für den Kunden eine Interaktion ermöglicht werden und immer etwas Neues geboten werden. Zusammen mit Vorzügen wie dem Games with Gold-Programm, bei dem jeden Monat vier Titel den monatlich zahlenden Kunden bereitgestellt werden und der Abwärtskompatibilität, bei der auf fast magische Weise in der Vergangenheit digital erworbene Videospiele in der eigenen Bibliothek auftauchen und ohne Aufpreis nutzbar sind, positioniert Microsoft die Marke Xbox als kundenorientierte allumfassende Lösung die funktioniert und einen langfristigen Mehrwert gegenüber der Konkurrenz bietet.
Die Xbox-Strategie von Microsoft besteht nicht mehr im reinen Verkaufen von Videospielkonsolen und der nachfolgenden Finanzierung durch Lizenzgebühren von Videospielverkäufen, Microsoft sieht die Xbox im Jahr 2016 viel mehr als Serviceplattform und ist meiner Ansicht nach auf dem richtigen Weg für eine langfristige wirtschaftlich rentable Zukunft in dieser Sparte. Durch den digitalen Vertrieb werden die hohen Kosten durch Zwischenhändler eliminiert, die Unabhängigkeit zur Hardware erweitert den möglichen Kundenkreis massiv, Kunden werden durch die Vorzüge der Serviceplattform stärker an das Ökosystem gebunden und die Wünsche der Industrie werden durch den teils für Kunden unbewussten Schwenk auf eine rein digitale Lizenzierung nach und nach umgesetzt. Was Xbox Live für die siebte Generation an Videospielkonsolen war, ist die Xbox-Serviceplattform für die achte und wohl auch letzte klar definierbare Generation an Videospielsystemen. Die Zukunft der Xbox steht bei Microsoft nicht ausschließlich neben dem Flachbildfernseher in Form einer Box, sondern existiert in unterschiedlicher Form auf allen Bildschirmen die unser Leben begleiten und unterhalten.