Betrachtet man Videospiele von einer sehr trockenen Seite, stellt man rasch fest, dass sich hinter den vielen Pixeln ein Regelwerk befindet, anhand dessen ein Spiel funktioniert. Diese Sammlung an Bedingungen ist das Grundgerüst eines jeden Spiels und auch wenn es auf den ersten Blick nicht direkt so scheint, sind diese Regeln für den langfristigen Spielspass essentiell. Besonders spürbar ist dies im Mehrspielermodus von Spielen, bei dem im Gegensatz zum Einzelspielerpart nicht durch geschickt gestaltete Abschnitte oder penibel abgestimmte Sequenzen über Mängel in diesem Regelwerk hinweg getäuscht werden kann.
Stellt sich nur die Frage, welche Anforderungen der kompetitive Mehrspielermodus aktueller Spiele an ein solches Regelwerk stellt. Spontan kommt hier einem das Adjektiv ausgeglichen in den Sinn, denn nur so ist ein fairer Wettkampf möglich. Versucht man als Vergleich ein ausgeglichenes physisches Spiel zu finden, fällt die Wahl relativ schnell auf Schach. Schach nutzt ein absolut symmetrisches Spielfeld, es ist egal welche Seite oder Farbe man spielt und bei gleicher Spielstärke der Spieler läuft es auf ein Unentschieden raus. Damit ist Schach der Inbegriff eines ausgeglichen Spiels schlechthin.
Diese perfekte Ausgeglichenheit bietet aber auch Nachteile, denn über den Lauf der Zeit haben sich verschiedene Standardstrategien entwickelt. Je intensiver man Schach spielt, desto mehr gilt es diese Strategien zu lernen, zu verinnerlichen und anzuwenden um besser zu werden. Eine eigene persönliche Spielweise an den Tag zu legen wird zunehmend schwerer oder gar unmöglich, ohne dass diese mittels Standardstrategie gekontert wird.
Auf die Frage nach dem perfekt ausbalancierten Videospiel lautet in neun von zehn Fällen die Antwort StarCraft. Sieben Jahre hat der Hersteller Blizzard das 1998 erschienene PC Spiel so weit optimiert, dass alle Spielfelder und die drei unterschiedlichen Parteien nun numerisch perfekt ausgeglichen sind. Das Resultat war die Wandlung vom Echtzeitstrategiespiel zum Actionspiel und am Ende gewinnt nun der Spieler, der die zur Situation passende Standardstrategie am effektivsten umsetzt. Es geht dabei mehr um die Klickfrequenz und das Mikromanagement als um den eigenen strategischen Spielstil. Das ist nicht Schlechtes, aber Spielern die die Spielmechanik verinnerlicht haben, fehlt der Reiz an neuen Möglichkeiten und die Individualisierung des Spielstils. Das Resultat ist ein mit steigenden Können stetig langweiliger werdendes Spiel.
Seit 1998 ist viel passiert und der Markt für Videospiele ist regelrecht explodiert. Durch die zunehmende Flut an neuen Spielen wird bei eintretender Langeweile relativ schnell zum nächsten Titel gewechselt. Die Lösung zur Bekämpfung der Langeweile? Spiele müssen unausgeglichen sein. Die besten Beispiele dafür sind im relativ jungen MOBA Genre zu finden. MOBA steht für Multiplayer Online Battle Arena, entstand ursprünglich als Modifikation für Warcraft III und erlebt derzeit mit den beiden (Free2Play) Spielen League of Legends und Dota 2 seine Blütezeit.
Unausgeglichene Spiele sind spielmechanisch betrachtet schön, da dadurch gleichzeitig ein Spiel rund um das Spiel entsteht, ein Metagame. Im Gegensatz zu ausgeglichenen Titeln ist auch nach langer Zeit kein Spielstil perfekt, wodurch Spieler motiviert werden zu experimentieren und stetig über die Herausforderungen im Spiel nachdenken müssen um zu gewinnen. Anstatt mit steigender Spielerfahrung vorgegebene Standardstrategien zu verinnerlichen, entwickelt man seinen eigenen persönliche Stil. Dieser ist jedoch nicht statisch, denn wenn man auf einen Spieler trifft der die eigene Strategie kontert, gilt es seinen Stil zu überdenken oder gar komplett zu ersetzen.
Im Gegensatz zu spielmechanisch schlechten unausgeglichen Spielen gilt es die perfekte Unausgeglichenheit zu erreichen und diese ist penibel geplant, berechnet und abgestimmt. Um den Status der statischen Unausgeglichenheit zu erreichen, nimmt man ein numerisch möglichst perfekt ausgeglichenes Spiel und erlaubt einzelne Abweichungen von bis zu 10% nach oben und unten. Dadurch wird der Spieler motiviert die Mechanik soweit zu verstehen, dass genau diese 10% der Vorteil sind, um im direkten Vergleich zu siegen.
Zusätzlich wird eine zyklische Unausgeglichenheit genutzt um die Unausgeglichenheit dynamischer zu gestalten. Im Fall der MOBA Spiele ist zum Beispiel der Held A minimal besser als alle anderen Helden. Sobald die Spieler diesen kleinen Vorteil des Helden erkennen, werde nach und nach mehr mit diesem Helden spielen. Als Reaktion werden jedoch viele andere Spieler darüber nachdenken welche Schwachstellen der dominierende Held hat. Und obwohl er etwas besser ist als alle anderen, kann Held A verhältnismäßig leicht von Held B besiegt werden. Das Resultat ist, dass die Spieler fortan vermehrt mit Held B spielen, da dieser im minimalen Vorteil gegenüber dem bis dahin dominierenden Held A ist. Dies funktioniert jedoch nur solange, bis realisiert wird, dass Held B minimal im Nachteil gegenüber Held C ist und so weiter und so fort.
Die grundlegenden Konzepte einer solchen Unausgeglichenheit klingen leicht, sind aber in Realität schwer umzusetzen. Jede dem Spieler angebotene Möglichkeit darf niemals vollkommen überlegen sein, sondern muss möglichst gut kaschierte Schwachstellen haben. Als Entwickler bedarf es einem genauen mathematischen und intuitiven Wissen wie und auf welche Art die unterschiedlichen Varianten miteinander und gegeneinander interagieren. Zuletzt müssen dem Spieler möglichst umfangreiche aber doch überschaubare Auswahlmöglichkeiten gegeben werden, damit dieser für jedes gestellte Problem des Spiels mindestens zwei Lösungen finden kann.
In Summe entstehen durch die statische und dynamische Unausgeglichenheit die perfekte Unausgeglichenheit, wodurch kein Spieler einen auch nur annähernd perfekte Spielstil entwickeln kann. Im Gegensatz zu ausgeglichenen Spielen gibt es stetig neue Herausforderungen, wodurch die Gefahr der Langeweile eliminiert wird. Genau dies ist auch der Grund für die derzeit vorherrschende Begeisterung und Faszination von League of Legends oder Dota 2 und so wie es momentan aussieht, wird sich daran wohl auch nichts in den kommenden Monaten oder Jahren ändern.
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