Der folgende Text wurde als Gastbeitrag auf videogametourism.at veröffentlicht.
Der Herbst klopft an und in fast schon jährlicher Tradition ist es wieder Zeit, über den Status Quo im Bezug auf Videospiele und die darüber geschriebenen Worte nachzudenken. Das GEE Magazin versuchte zehn Jahre lang vieles anders zu machen und feierte erst vor wenigen Tagen mit einer großen Sonderausgabe sein eigenes Sterben. Die Zahl der Spielveröffentlichungen steigen, die IVW-Zahlen der Videospielfachmagazine für das dritte Quartal sinken erneut, die „Mehr Geist“-Debatte von vor zwei Jahren hat nichts verändert und Waschmaschinenjournalismus steht noch immer an der Tagesordnung. Mit dem Ende des GEE Magazins ist diesen Monat einer der seltenen Lichtblicke am deutschsprachigen Printmarkt verschwunden und auch die Selbstversteigerung des consol.Media Verlags mit einem Nennpreis von 1 Euro zeigt, dass weder Qualität noch Engagement für ein wirtschaftliches Überleben ausreichend sind.
Mein letztjähriger Beitrag hat auch weiterhin seine Berechtigung und was folgt, ist der Versuch, die Probleme mit zehn Regeln für Personen, die über Videospiele schreiben, zusammenzufassen. „Personen“ aus dem Grund, da es nicht mehr nur Journalisten im klassischen Sinn (be)trifft. Mit sinkender Relevanz von Printmagazinen wandern die dort üblichen Praktiken nämlich langsam in den Onlinebereich und werden dort von Bloggern, Schreibsklaven, Podcastern und „Let’s Play“-Menschen leider zu gerne über- sowie angenommen.
Regel 1 – Wenn es einem persönlich nicht gefällt, ist es nicht gleichzeitig schlecht.
Der persönliche Eindruck und die Qualität von etwas müssen nicht übereinstimmen. Im klassischen Journalismus unterscheidet man zwischen unterschiedlichen Arten der Berichterstattung, die von neutral (z.B. Bericht) bis hin zu sehr subjektiv (z.B. Meinung oder Kommentar) gehen können. Die Grenze zwischen den Textgattungen verwischt schnell und bei Beiträgen über Videospiele entsteht oft eine Mischung aus Bericht, Review und Meinung. Solange man sich dessen bewusst ist und Formulierungen entsprechend wählt, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Problematisch wird es jedoch, wenn man die eigene Meinung als Tatsache betrachtet und diese als Basis für eine Argumentation über die neutrale Qualität oder eine andere subjektive Meinung nutzt.
Regel 2 – Nur weil die Industrie dich pimpert, musst du die Industrie nicht zurück pimpern.
Laut Duden ist pimpern die vulgär österreichische Form von koitieren. Gleichzeitig dient es auch als umgangssprachliches Synonym für das Anfüttern im Sinne der Vorteilszuwendung zur Beeinflussung. Journalismus steht für die professionelle Fremdbeobachtung von Themen und trägt zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Zuwendungen jeglicher Art (Reisen, Testmuster, Einladungen zu Essen und Partyabende, …) sind im „Videospiel-Journalismus“ an der Tagesordnung und nimmt man solche an, ist zum einen in geeigneter Form darauf hinzuweisen und darauf zu achten, dass die Zuwendung weder die Berichterstattung beeinflusst oder gar initiiert. Der Umfang der Zuwendung ist dabei irrelevant und beginnt bereits bei kleinen Dingen wie einem rein digitalen Testmuster.
Regel 3 – Wenn es einen Markt für ein Spiel oder eine Idee gibt, dann sollte man darüber schreiben.
Der Landwirtschafts-Simulator ist Schwachsinn? Er belegte jedenfalls im September den 14. Platz der deutschen PlayStation 3 Charts auf Amazon und war damit vor Spielen wie Rayman Legends oder Beyond Two Souls. Tomb Raider ist erst seit dem 2013er Reboot wieder relevant? Im Jahr 2000 wurde mit Tomb Raider Chronicles ein Level Editor veröffentlicht, mit dem auch nach über 13 Jahren quasi wöchentlich neue qualitativ gute Kurzabenteuer mit mehreren Stunden Spielzeit geschaffen werden und über die sich in Fanforen ausführlich ausgetauscht wird. Es gibt vieles was außerhalb der eigenen Videospielblase passiert. Es gibt Geschichten die die Industrie vorgeben möchte und es gibt Geschichten, über die man schreiben sollte.
Regel 4 – Du schreibst weder für dich, dein Ego, noch die Industrie.
Möchte man lieber für sich oder sein Ego schreiben, dann empfiehlt es sich die Option eines persönlichen Tagebuchs in Erwägung zu ziehen. Keinesfalls schreibt man jedoch für, sondern nur über die Industrie und dies nicht für sich, sondern eigentlich für andere.
Regel 5 – Klickzahlen stehen nicht zwangsläufig in Relation zur Qualität.
Klickzahlen sind wichtig und geben teilweise Feedback über die Reichweite und das Interesse am Inhalt. Dieses Interesse ist jedoch nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit der Qualität. Die Optimierung von Inhalten zur Steigerung des Interesse ist keineswegs verwerflich, aber nur solange nicht die Qualität darunter leidet oder grundlegende ethische Verfehlungen entstehen wie Klickstrecken von Messehostessen oder schlechte Witze auf Kosten Dritter.
Regel 6 – Waschmaschinen haben einen Nutzen, Journalismus einen Zweck & Waschmaschinenjounalismus nichts.
Waschmaschinenjounalismus war vor zehn Jahren nicht zeitgemäß, er war es vor fünf Jahren nicht, ist es heute nicht und wird es auch nicht mehr. Videospiele sind ein Unterhaltungsmedium, welches immer mehr Leute erreicht und die Abarbeitung mittels standardisierter Checklisten ist und bleibt falsch. Es gilt über etwas zu schreiben und nicht zu beschreiben. Es gilt Dinge in Frage zu stellen und nicht die Anzahl der gleichzeitig dargestellten Polygone zu beurteilen. Es soll der Leser angeregt werden über etwas nachzudenken und nicht die Entscheidung durch den Autor abgenommen werden.
Regel 7 – Eine eigene Meinung darf und soll man nicht haben, sondern man muss sie haben.
Es gibt nichts schlechteres, als keine Meinung zu haben oder die Meinung anderer als eigene auszugeben um nicht anzuecken oder selbst nachdenken zu müssen. Nur weil alle etwas gut finden, muss man es selbst nicht gut finden. Andere Meinungen sind gut und zu respektieren, erst Recht wenn diese klar und verständlich begründet werden.
Regel 8 – Leg dir Ellbogen zu! Bloggen ist kein Tag am Ponyhof & auch die Sonne strahlt nicht aus dem Po.
Eindeutig zweitdeutig. Über etwas zu schreiben ist leicht, intelligent über etwas zu schreiben nicht. Texte die in Minuten gelesen werden, haben meist eine mehrstündige Entstehungsgeschichte hinter sich. Reputation hat man nicht, Reputation muss man sich verdienen. Neid bezeichnet das moralisch emotionale Empfinden, die Stellung anderer Personen oder Gruppen sei ungerechtfertigt. Neid ist per Definition nichts Schlechtes und kann durchaus motivieren. Jemanden aus Neid aber schlecht zu machen geht zu weit, erst Recht wenn man nicht das gesamte Bild sieht oder sehen kann. Das Internet kann ein böser und ungerechter Ort sein, muss es aber nicht.
Regel 9 – Nur weil man darüber schreibt, ist man nicht automatisch Teil der Branche.
Es gibt die Videospiel Branche, Journalisten und Konsumenten. Auch wenn die Wechselquote vom Lager der Journalisten in Richtung Branche wohl nirgends so hoch ist wie in der Videospielindustrie, sind Journalisten nie Teil der Branche. Die Symbiose zwischen Industrie und den Leuten die darüber schreiben ist zwar vergleichsweise dicht und es entstehen auch Freundschaften, wodurch man aber nicht automatisch Teil dieser Branche wird. Auch wenn Vertreter der Videospielindustrie anderes behaupten, sitzt man weder im gleichen Boot, noch vertritt man dieselben Interessen. Man lebt und arbeitet gegenseitig miteinander, ist aber keinesfalls voneinander abhängig oder angewiesen. Will man wirklich in die Branche, ist es sinnvoller sich einen Job in der Branche zu suchen als darüber zu schreiben.
Regel 10 – Es hat nie jemand gesagt, dass es einfach wird und oder man fehlerfrei sein muss.
Wenn etwas nicht funktioniert, dann sollte man es bleiben lassen. Es bringt nichts x-beliebige Inhalte rauszukotzen ohne sich auch nur irgendwie von anderen zu Unterscheiden. Es ist nicht einfach anders zu sein und es ist unmöglich fehlerfrei zu sein. Fehler passieren und falsche Entscheidungen werden getroffen. Wichtig ist, dass man diese erkennt, dazu steht und künftig vermeidet. Niemand ist perfekt und genau das macht in Wirklichkeit die Sache erst interessant und spannend.
Journalismus wird charakterisiert durch die professionelle Fremdbeobachtung und auch wenn Videospiele zumeist ein gesellschaftlich nicht relevantes Unterhaltungsmedium sind, sollte man versuchen die grundlegenden ethischen Grundsätze des Journalismus zu berücksichtigen. Gleiches gilt für Texte, Podcasts und Videos über Videospiele. Der Überlebenskampf der Printmagazine ist bereits verloren, lasst uns nicht noch einmal dieselben Fehler begehen. Die von mir aufgestellten Regeln werden die Probleme des Videospiel-Journalismus nicht lösen – aber hoffentlich ein wenig verbessern.