Ich habe erst vor wenigen Wochen einige Gedanken über die sprachlichen Möglichkeiten der Videospielberichterstattung zu virtuellen Papier gebracht (siehe ‚How to Review Videogames‘) und bereits drei Beiträge später, starte ich mit einem sprachtechnisch absolut merkwürdigen Konstrukt. Das erste Wort ist das Problem, denn objektiv anstatt subjektiv steht im Regelfall an der Tagesordnung, aber heute ist es anders. Es geht um Just Dance 3 auf der Wii, einem sogenannten Casual Game in Perfektion und es geht um mich, denn letztes Wochenende verbrachte ich 12 ½ Stunden mit dem Spiel von Ubisoft. Ich war inkognito unterwegs, ich war Promotor in einem Einkaufszentrum.
Vorab ein großes Danke an die Kollegen von Ubisoft Österreich, die natürlich eingeweiht waren und mich im Vorfeld mit guten Ratschlägen unterstützten. Ich soll die Hoheit über die Wiimote behalten, die Musikauswahl treffen, jede mögliche Pause zur Regeneration nutzen und jede unnötige Diskussion mit pubertierenden Jungs vermeiden. Innerlich lachte ich. Es ist ein Casual Game und die paar Stunden an den beiden Tagen überstehe ich als richtiger Gamer wohl ohne Probleme. Das bisschen Herumwedeln mit der bewegungsempfindlichen Fernbedienung ist Kindergartenvideospielniveau und kann ein Wochenende in einem Einkaufszentrum wirklich so schlimm sein? Österreich landete letztes Jahr immerhin auf dem guten 14. Platz im Lebensqualitäts-Ranking der OECD und Leute die gerne Shoppen sind wohl auch glücklich und freundlich. Was soll ich sagen … ich lag falsch. Es war kein Kindergeburtstag, es war eine körperliche Herausforderung und jeder Psychologiestudent hätte seine größte Freude am Dargebotenen gehabt. Aber alles der Reihe nach.
Es ist Freitag und die große Uhr am Veranstaltungsplatz des Einkaufszentrums zeigt 15:30 Uhr. Der lokale Elektronikmarkt veranstaltet die nächsten beiden Tage eine kleine Spielemesse und neben FIFA, Formel 1 und Kinect Bowling befindet sich auch eine unscheinbare Just Dance 3 Station am Rand der Veranstaltungsfläche. Die Konsole und der kleine Flachbildschirm werden ab sofort zu meinen Begleitern für die nächste Zeit und ich startet fast euphorisch Just Dance 3. Ich tanze so gut wie ich singe und die erste Lieder stehen im Zeichen meines persönlichen Trainings und gleichzeitig stellt sich (m)eine erste Hürde. Es kostet Überwindung in einem Einkaufszentrum vor wildfremden Personen zu tanzen. Es ist eigentlich nichts anders als was viele am Wochenende in Clubs machen, aber dort ist es dunkel und man hat vielleicht schon ein oder zwei Getränke intus. Es ist primär (m)eine mentale Hürde, die aber überwindbar ist und man versucht einfach ein Lebensgefühl zu vermitteln, nämlich Spaß.
Es war der dritte Stern nach dem vierten Lied, der mich vorantreibt. Just Dance 3 hat ein Punktesystem, ein gnadenloses Punktesysteme. Es gibt keine Abzüge, aber je schlechter man ist, desto weniger Punkte gibt es. Deutlich weniger Punkte, denn nur mit korrektem Timing, richtigen Bewegungen und letztendlich dem Auswendiglernen der Bewegungsmuster ist eine Platzierung in den oberen Rängen möglich. Es ist am Ende der Drang sich zu verbessern, der einen stetig voran treibt und ich merke, wie ich bei jedem Tanzfehler innerlich fluche. Das Spiel ist für Mädchen im schulpflichtigen Alter konzipiert und es muss wohl auch für mich als untalentierten Bewegungsanalphabeten möglich sein die Bestwertung in Form von fünf Sternen zu erreichen. Plötzlich ist es soweit, das Casual Game fordert der Core Gamer in mir heraus und nach weniger als 60 Minuten steht die Herausforderung vor meinem inneren Auge: Dynamite von Taio Cruz fehlerfrei zu ‚Performen‘ (YouTube Just Dance 3 Moves)
Meine ersten Gäste treten näher und glücklicherweise möchten sie tanzen. Es sind eigentlich immer Mädchen im bereits erwähnten schulpflichtigen Alter und es macht ihnen sichtlich Spaß. Die Mama steht meist dahinter und freut sich, dass das Kind vor dem Bildschirm sportlich aktiv ist. Der Bruder samt Papa spielen lieber FIFA und langsam merke ich, wie ich das klischeehafte Weltbild störe. Fußball und Autorennen für den männlichen Teil der Bevölkerung, die Tanzspiele für den weiblichen Part. Blöderweise steht ich direkt bei Just Dance 3 in meinem neonfarbigen T-Shirt und hüpfe mit einem Dauergrinsen vor dem Flatscreen herum. Ich fühle mich nicht wohl, denn die Antwort, die mir fast alle geben erinnert an das eigene Empfinden, denn die eigenen vier Wände werden fast immer dem offenen Einkaufszentrum als Tanzfläche vorgezogen. Mit der Zeit wird es leichter und dank meiner persönlichen Herausforderungen ist es mir irgendwann egal was andere denken. Ich bin hier um zu Gewinnen, jemand der früher Counter-Strike spielte versucht ein Mädchenspiel zu besiegen.
Man spürt die Blicke der Vorbeiziehenden, aber kurz vor dem Ende des ersten Tages merke ich, dass die anfänglichen Warnungen berechtigt sind. Es sind pubertierende männliche Jugendliche und sie treten bevorzugt in Gruppen auf. Sie sprechen laut was sie denken und sie glauben sie sind lustig. Sie lachen einen aus und sie lachen die tanzenden Mädels aus. Gespräche sind nutzlos und sinnbefreit, denn solange die Gruppe besteht ist es schwer dagegen anzukommen. Die Stimmung kippt und plötzlich will niemand mehr tanzen. Auch meine Motivation sinkt und alle Versuche die Situation zu retten scheitern, niemand der Jungs nimmt meine Herausforderung in Form eines Tanzbattle an. Ich gebe nicht auf und versuche es mit allen psychologischen Tricks. In Sicht- und Rufweite sitzt ein hübsches Mädel am Infocounter, die es den Jungs anscheinend angetan hat. Ich schlage vor, dass der Verlierer des Battle die von den Jungs Angeschmachtete ansprechen muss. Jugendliche Furcht quasi, aber die Idee funktioniert und der beste Tänzer der Gruppe wird zu meinem neuen Gegner und möchte Dynamite von Taio Cruz tanzen. Mein Dauergrinsen kehrt zurück, sowohl äußerlich als auch innerlich. Er verliert, jetzt lache ich und mein Grinsen wandert zum Infocounter. Sie nickt mir zu und ich fühle mich bestätigt. Ich habe die Gruppe besiegt und auch die nächsten 90 Minuten ändern nichts daran, denn egal welches Lied als Revange gefordert wird, ich gewinne immer. Am Ende des Tages sind aber weder die Jungs noch ich mit einer Telefonnummer nach Hause gegangen.
Es ist Samstag kurz vor 09:00 Uhr, noch ist es ruhig und ich bin gar nicht so traurig darüber. Der Vortag hat Spuren in mehrerer Hinsicht hinterlassen, denn sowohl Beine, Arme und Schultern zeigen Ermüdungserscheinungen. Ich schlucke prophylaktisch eine Aspirin Tablette und hoffe auf Besserung, zumindest für die erste Hälfte des Tages. Am Vortag waren es wenige Stunden, heute ist es der gesamte Tag und dazu noch der Samstag. Meine Position hat sich geändert und anstatt den Infocounter im Rücken zu haben stehe ich vor einem Cafe. Die Leute können gemütlich sitzen und meinen Gästen beim Tanzen zusehen. Vor meinem inneren Auge sehe ich die nächsten unterbeschäftigten Jugendgruppen auftauchen, aber meine Furcht bleibt glücklicherweise aus. Es bleibt bei den Blicken der Leute, die sich fragen warum ein Junge vor einem Mädchenspiel steht. Erneut Weltbild und so, aber ich stehe mittlerweile darüber und denke mir meinen Teil. Meine Moves werden besser und das erste Lob streichelt die Seele und tut gut. Habe ich tatsächlich gewonnen und alle Hürden überstanden? Natürlich nicht, aber ich fühle mich kurzfristig unbesiegbar und das Ziel die Höchstwertung bei diesem einen Song zu erreichen scheint in greifbarer Nähe zu sein.
Aber dann passiert es … ich gebe den Wasserbällen die Schuld. Diese dienen am zweiten Tag als Motivationsquelle für Tanzwütige und das Konzept geht auf. Es war kurz vor dem Ende, als ein etwa sechs Jahre altes Mädchen tanzen möchte und zum geschätzten fünfzigsten Mal startete ich Dynamite. Was folgte war brutal und erniedrigend. Ich verlor und das nicht nur um ein paar Punkte. Vier Sterne waren mir sicher und es fehlte nicht viel zum letzten Stern, aber meine Gegnerin tanzte mich sprichwörtlich an die Wand. Ich verlor haushoch und wurde von ihr auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Just Dance 3 schafft es Bewegungsmuster zu vermitteln, aber es macht aus einem untalentierten Bewegungsanalphabeten keinen Tänzer. Just Dance 3 ist kein Casual Game, es ist eine Tanzsimulation. Innerlich am Boden zerstört überreiche ich ihr meinen letzten Just Dance Wasserball und sie verlässt triumphierend das Schlachtfeld. Ich sehe sie nur mehr von hinten und bin mir sicher: Sie grinst wie ein Honigkuchenpferd.
Es war ein lehrreiches Wochenende und das in vielerlei Hinsicht. Es ist zum einen erstaunlich wie intensiv sich ein Muskelkater nach zwei tanzreichen Tagen zeigen kann und es ist erschreckend, wieviel man an den Blicken der Leute ablesen kann. Es fehlt an Respekt und man wird oftmals auf den Zweck der Unterhaltung reduziert. Nicht nur einmal wurde ich von Besuchern aufgefordert zu tanzen, damit jemand quasi mit dem Finger auf mich zeigen kann und vielleicht sogar noch dabei lacht. Es waren nicht viele, aber jeder davon ist einer zu viel auf dieser Welt. Warum jemand so gemein sein kann? Keine Ahnung … ich war nur jemand der für wenige Stunden den Anzug und die Krawatte gegen ein neonfarbiges T-Shirt getauscht hat und inkognito als Ubi Dancer in einem heimischen Einkaufszentrum unterwegs war.
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