Johann Sebastian Joust

Ritualisiert schieben sich untertags Menschenmassen durch die Einkaufsstraßen der Nation. An den Abenden herrscht dichtes Treiben in den Lokalen der Innenstädte und die Verlagerung seiner Position von einer Seite des Lokals zur anderen mutiert schnell zu einem Spießrutenlauf. Es wird stetig versucht den Körperkontakt mit Fremden auf ein Minimum zu beschränken und tunlichst jede Art der Berührung, die als Rempeln aufgefasst wird, zu vermeiden. Bereits im Kindesalter werden wir darauf trainiert, dass das ungewollte Zusammenstoßen unhöflich ist und ein Überschreiten der persönlichen Grenze des Anderen darstellt. Das gesellschaftlich korrekte Verhalten ist nach Jahren automatisiert und niemand denkt mehr darüber nach. Jeglicher Verstoß gegen dieses vermittelte moralische Regelwerk ist mit dem Ausbruch aus der eigenen Komfortzone gleichzusetzen und just diese Situation provoziert Johann Sebastian Joust.

Johann Sebastion Joust - Titelbildschirm

J.S. Joust ist ein Videospiel, welches sich über die typischen Komponenten des Mediums hinwegsetzt und nur schwer in eines der üblichen Genres einzuordnen lässt. Es handelt sich um ein bewegungsgesteuertes Musik- und Sportspiel, welches auf Grafik, den Bildschirm, eine Punktwertung oder komplexe Spielmechaniken verzichtet. Was es gibt sind eine Handvoll im Kreis stehende Menschen, die einen bewegungssensitiven PlayStation Move Controller in der Hand halten, sich gegenseitig ansehen und gespannt auf die erlösenden Worte für den Spielstart warten: Get ready to joust … Go!

Ziel ist es, wie könnte es für das Medium nur anders sein, als letzter am Spielfeld zu verbleiben. Die grundlegende Mechanik ist, dass man die Controller der anderen Spieler durch rückartige Bewegungen außer Gefecht setzt. Wenn der Angriff erfolgreich war, leuchtet die Kugel des Gegners am oberen Ende des stabförmigen Sensors kurz rot auf, um Sekunden später von einem Explosionsgeräusch begleitet zu erlischen. Da alle zur selben Zeit das gleiche Ziel haben, gilt es parallel zum Angriff die eigene Lichtkugel zu schützen und jegliche ruckartige oder übereilte Bewegung zu vermeiden. Zum Tempo der an Werke von Johann Sebastian Bach angelehnten Musik ändert sich erschwerend die Empfindlichkeit der Controller. Auf anfänglich langsamen, fast schon tänzelnde Bewegungen, kann durch den Wechsel des Takts in Bruchteilen einer Sekunde ein aggressiver Angriff oder der überraschende Stellungswechsel der Kontrahenten folgen. Das Spielfeld selbst ist aufgrund des Verzichts eines Bildschirms variable und definiert sich über die Ideen und der Kreativität der Beteiligten.

Johann Sebastian Joust - Get Ready To Joust

Im Rahmen des ersten GameStage@AEC Abends, an dem man J.S. Joust spielen konnte, entstand nach ein paar Runden im Foyer die Idee, das Spielfeld vor das Ars Electronica Center zu verlagern. Anfänglich von den vorbeigehenden Menschen ignoriert, blieben nach und nach ein paar stehen, beobachteten das Tanzen der bunten Lichtkugeln und versuchten das Wahrgenommene zu verstehen und beurteilen. Irgendwann war die Neugierde zu groß und aus Zusehern wurden Spieler. Gemeinsam mit Freunden zu spielen ist schön, gemeinsam mit Fremden zu spielen ist ungleich unterhaltsamer. Abgesehen davon, dass die Strategie von Freunden bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar ist, besteht unbestritten ein merkwürdiger Reiz darin Fremde physisch zu schlagen.

Der eigene Ehrgeiz in Verbindung mit der Spielmechanik schafft es das automatisiert korrekte Verhalten gegenüber Fremden zu unterdrücken und spätestens ab der dritten Runde wird gerempelt, gestoßen und im Zweifel auch die Füße zur Hilfe genommen. Es ist ein Gefühl, welches an die eigene Kindheit erinnert, als man noch unbedarft und unbedacht mit anderen Kindern spielte. Durch das Verlassen der eigenen Komfortzone und dem Spaß den man dabei hat, verfällt man immer stärker in frühere Verhaltensmuster. Vor dem Gegner posieren, diesen täuschen, sich aufzuplustern oder zu verwirren und gleichzeitig versuchen das Gesehen zu verarbeiten und richtig einzuschätzen. Voller Adrenalin versucht man zu beurteilen wie weit man gehen kann und welches Mittel noch angemessen ist. Gefühlt immer gewinnt diese Entscheidung aufgrund der entstehenden Dynamik die Gefühlsebene vor dem Verstand. Außenstehende würden zu dem Verhalten kindisch sagen, für die Beteiligten ist es jedoch eine Menge Spaß, das Brechen der eigenen automatisierten Verhaltensmustern und eine komplett neue Erfahrung mit einem Videospiel, das eigentlich gar kein Videospiel ist.

Johann Sebastian Joust - Hitting People

Johann Sebastian Joust basiert auf einer Idee von Douglas Wilson und befindet sich momentan beim dänischen Spielstudio Die Gute Fabrik in Entwicklung. Nach einer erfolgreichen Kickstarter Kampagne ist für dieses Jahr die kommerzielle Veröffentlichung geplant. Weiterführenden Informationen gibt es unter jsjoust.com und einen hübschen Trailer auf Vimeo. Weitere Fotos der Partien im Rahmen von GameStage@AEC gibt es auf Flickr.