Hellblade: Senua’s Sacrifice

Irgendwann sind die Stimmen zum Normalzustand geworden. In den ersten Minuten waren die Stimmen der Auslöser für eine kurze Zwangspause um durchzuatmen und sorgten für ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Eine Stunde später waren sie noch immer anstrengend, aber ich habe mich an sie gewöhnt. Innerhalb der darauffolgenden ein bis zwei Stunden hat sich die Situation normalisiert und der anfänglichen Verunsicherung ist Akzeptanz gefolgt. Die Stimmen sind da, die Stimmen bleiben da. Die Stimmen sind zu meinen Begleitern geworden, zu meinen treuen und unterstützenden und problematischen Begleitern. Woher kommen die Stimmen? Aus den Kopfhörern die ich trage. Unüblich, aber bei Hellblade: Senua’s Sacrifice wichtig. Der Titel empfiehlt beim Start Kopfhörer zu nutzen. Eine Empfehlung, welcher man unbedingt Folge leisten sollte.

Als Videospieler erlebt man in Hellblade: Senua’s Sacrifice die Heldenreisen der Protagonistin Senua. Inspiriert von keltischer und nordischer Mythologie ist das Ziel der Reise die nordische Totengöttin Hela um einen Gefallen zu bitten, nämlich den Tod des Geliebten rückgängig zu machen. Senua reist hierzu physisch alleine nach Norden, aber in Realität nicht. Senua leidet unter starken Psychosen. Hellblade: Senua’s Sacrifice rückt das Thema Psychosen für ein Videospiel untypisch inhaltlich als auch spielerisch in den Mittelpunkt. Die offensichtlichste Ausprägung? Der Videospieler hört während des Spielens dieselben Stimmen, die auch Senua plagen. Die Betonung liegt hierbei auf während des Spielens, also dauerhaft, dauerhaft während des gesamten Videospiels zu jeder Zeit und zu jedem Moment. Ob man die Stimmen hören möchte oder auch nicht, sie sind da und bleiben da.

Die Reise von Senua beginnt auf einem kleinen Boot und die Protagonistin paddelt über das von dichten Nebelschwaden überzogene Wasser. Fragmente der Umgebung sind sichtbar, Küsten sind erkennbar und wenig einladende Abschnitte tauchen auf. Begleitet wird die Geschichte von einem Erzähler und immer mehr Stimmen. Teilweise als Gewirr durcheinander, teilweise wieder klar verständlich. Die Stimmen erzählen das aktuelle Geschehen nach, die Stimmen warnen vor dem was kommt, die Stimmen reden Senua gut zu und die Stimmen kritisieren Senua. Anfangs leise, jedoch werden die Stimmen im Laufe der wenige Minuten dauernden Sequenz immer lauter. Die Anzahl kann nicht genau ausgemacht werden und Senua spricht auch mit sich selbst, mit den Stimmen und mit dem Videospieler, zumindest nimmt man dies so wahr. Die Stimmen sind überall und präsent, können aber nicht genau zugeordnet werden, man versucht zu verstehen was passiert, ist kurzfristig hoffnungslos überfordert und innerlich nahezu fertig durch die akustische Reizüberflutung.

Ein Teil der Stimmen hilft um mit der Beschreibung der Umgebung diese bewusster wahrzunehmen und loben Senua und den Videospieler, wenn man den richtigen Weg wählt. Andere Stimmen warnen vor der Umgebung und auch vor Senua selbst. Das einzig Positive trotz der Unsicherheit ist der Umstand, dass es nicht mehr so viele Stimmen wie zu Beginn sind und sowohl Lautstärke als auch Intensität nachgelassen haben. Man gewöhnt sich an die Stimmen als Hintergrundrauschen und navigiert mit Hilfe dieser durch die unbekannte Welt und das nicht offensichtliche Ziel. Manche Stimmen sind hilfreich, manche Stimmen verstärken die Angst vor dem Ungewissen und führen zu Selbstzweifel. Es sind wenige Stimmen und man erzeugt ein persönliches Profil welche Stimmen für einen wichtiger sind als andere. Der Tonfall hilft bei der Unterscheidung und man arrangiert sich damit. Man hört einfach auf die Stimmen, die einem helfen, zumindest von denen man glaubt, dass sie einem helfen. Ob diese es tatsächlich tun, sein dahingestellt.

Es ist nicht nur die Navigation in der Welt und der Fortschritt der Reise, der von Stimmen begleitet wird, es sind auch die Kämpfe. Senua führt ein Schwert und kämpft mit diesen gegen unterschiedliche Typen von Gegnern. Im Regelfall unvorbereitet und begleitet von den Stimmen. Hört man als Videospieler anfangs Motivation-Rufe zum Angriff und auch demotivierende Ausrufe hinsichtlich Selbstaufgabe, stellt man irgendwann fest, dass die Stimmen eine unterstützende Rolle übernehmen. Wird man von hinten angegriffen, kommt der verbale Hinweis für einen Block zur Abwehr. Sind nur mehr wenige Angriffe erforderlich um den Gegner zu eliminieren, werden die motivierenden Stimmen lauter. Liegt man Boden kurz vor dem eigenen Tod, kommentieren die demotivierenden Stimmen dies fast schon euphorisch. Die Stimmen im Kopf können böse und zynisch sein, manchmal etwas zu zynisch.

Je weiter Senua in Richtung des Ziels der Reise kommt, desto mehr gewöhnt man sich an ein Leben mit den Stimmen. Man kennt die Eigenheiten, man kennt das Verhalten, wenn da nicht der Umstand wäre, dass es im Verlauf mehr und andere Stimmen werden. Ebenso werden diese intensiver und dringen immer stärker in den Kopf von Senua und damit auch dem Videospieler ein. Dies wird ins besonders bei der negativen Seite bemerkbar, denn im späteren Verlauf wird aus Verunsicherung und Unsicherheit fast schon blanke Angst und Furcht. Es beginnt das grausame Spiel mit der Dunkelheit, mit der sehr ausgeprägten Unsicherheit und fast schon Psychoterror im Kopf. War es ganz am Anfang die persönliche Überforderung durch die akustische Reizüberflutung, ist es am Ende die bewusste Manipulation und ein Spiel der Gefühle von Senua und dem Videospieler. Was ist real und was wird hervorgerufen durch die Stimmen? Welche Rolle hat Senua und welche Rolle hat der Videospieler? Steuert der Videospieler Senua oder umgekehrt? Ist es überhaupt eine gemeinsame Reise oder übernimmt man am Ende nur die Rolle einer weiteren Stimme im Kopf von Senua?

Hellblade: Senua’s Sacrifice ist hinsichtlich der Videospielmechaniken ein Action-Abenteuer. Es berücksichtigt das Thema Psychosen wie kein anderes mir bekanntes Videospiel. Die Art und Weise wie das britische Entwicklungsstudio Ninja Theory dieses Thema in Form von Stimmen im Kopf implementiert haben ist beachtlich, verstörend und mit etwas Abstand auch beindruckend. Hellblade: Senua’s Sacrifice ist eine der intensivsten Videospielerfahrungen der letzten Jahre oder überhaupt die intensivste Videospielerfahrung für mich persönlich. Ein Psychotrip fasst es gut zusammen, ein Psychotrip den erwachsenen Videospieler unbedingt erleben sollten. Es ist das Spiel mit Unsicherheit, das Spiel mit der Angst, das Spiel mit der Furcht und die Art wie diese Elemente implementiert sind. Keine Anzeigen am Bildschirm, keine Erklärungen in Textform und ein paar geschickte Kniffe hinsichtlich der üblichen Videospielmechaniken. Das Beachtenswerte? Hellblade: Senua’s Sacrifice manipuliert den Videospieler auf perfekte Art, Hellblade: Senua’s Sacrifice erzeugt unheimliche Angstmomente ohne Effekthascherei oder Jumpscare-Effekte. Hellblade: Senua’s Sacrifice regt zum Nachdenken an und bleibt noch lange nach dem Ende des Videospiels in Erinnerung.

Gespielt wurde die Xbox One Version von Hellblade: Senua’s Sacrifice. Entwickelt und vertrieben wird der Titel vom britischen Studio Ninja Theory. Das Videospiel ist seit August 2017 für die PlayStation 4 sowie den PC und seit April 2018 auch für die Xbox One erhältlich. Bezugsmöglichkeiten sind GOG.com (PC Direktkauf), Steam (PC Direktkauf), der PlayStation Store (PlayStation Direktkauf) oder der Microsoft Store (Xbox Direktkauf)*. Preislich liegt der Titel bei etwa 30 Euro.

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