Sonic Mania

Es gibt ein paar Regeln, die bei Einhaltung das Leben von allen Menschen leichter sowie angenehmer machen. Eine dieser nicht niedergeschriebenen Regeln ist auch auf das Medium Videospiele anwendbar, in diesem Fall auf Sonic Mania: Einfach nicht Scheiße sein. Was einfach klingt und auch fast alle Videospiele seit Jahren schaffen, schafft Sega mit etlichen Titeln der Sonic-Reihe bis auf wenige Ausnahmen wie Sonic Generations nicht. Viel erschreckender ist der Gedanke weitergesponnen auf die Erwartungshaltung der Fans, denn anstelle sich vorab Gedanken über die inhaltliche oder spielerische Qualität zu machen, ist es bei Sonic-Videospielen mittlerweile nur noch die Hoffnung, dass der Titel dieses Mal bitte nicht wieder schlecht ist. Die gute Nachricht ist, dass Sonic Mania nicht Scheiße ist. Der neuste Teil der Marke ist sogar das Gegenteil davon, nämlich richtig gut. Dies sowohl inhaltlich, spielerisch und auch in Hinblick auf das schwierige Thema Fanservice.

Die Frage nach dem Warum ist vermutlich am einfachsten mit der Tatsache zu beantworten, dass Sonic Mania nicht intern bei Sega von Team Sonic entwickelt wurde, sondern extern von Christian Whitehead, Headcannon, and PagodaWest Games. Ein Experiment von Sega für eine so bekannte Marke, welches aus heutiger Sicht diese deutlich aufgewertet hat. Die öffentlich bekannte Entwicklungsgeschichte geht stark in Richtung eines Liebhaberprojekts und dies ist auch meiner Ansicht nach der Grund für den äußerst hohen Level an Qualität des Titels. Dies beginnt bereits an der Basis, denn trotz der unverkennbaren Optik im Stile der früheren Videospiele der Serie auf dem Mega Drive, nutzt Sonic Mania eine andere Engine, die Retro Engine. Diese wurde als Fanprojekt in den letzten Jahren entwickelt um genau die Optik, das Spielgefühl sowie die Eigenheiten früherer Teile auf aktuellen Systemen wiederspiegeln zu können. Ein Heidenaufwand, aber unumgänglich um den Anfängen treu zu bleiben, sowie die damit verbundene Qualität der ersten Sonic-Videospiele beizubehalten.

Sonic Mania sieht aus und klingt wie ein in den frühen 90er-Jahren erschienenes Videospiel, es spielt sich exakt so wie man es von einem Sonic-Videospiel erwartet und man fragt sich dabei, was denn jahrelang so schwer war, dass damals funktionierende Konzept erneut umzusetzen. Hier gilt es zwei Aspekte zu beachten.

Die Motivation eines Videospiel-Herstellers mit einer erfolgreichen Marke ist, diese möglichst lange optimal, also gewinnbringend, zu verwerten. Das einfache Wiederholen von früheren Teilen mit minimalen Änderungen und Erweiterungen ist auf kurze Sicht der beste Weg. Videospiele altern, da die Konsumenten von Videospiele sich weiterentwickeln und diese mit jedem Jahr minimal andere Anforderungen an das Medium stellen. Eine gewisse Zeit lang kann ein Videospiel-Hersteller diese Änderungen ignorieren, aber irgendwann wird der Unterschied zwischen dem aktuellen Titel und den Wünschen der Konsumenten zu groß. Auf lange Sicht betrachtet ist es hier erforderlich mit dem Markt mitzugehen und genau dies hat Sega jahrelang versucht, eher erfolglos. Der Sprung von 2D zu 3D ist nicht geglückt, der Wechsel vom schnellen Jump’n’Run in Richtung Abenteuer oder Rollenspiel ist gescheitert und mit jedem neuen Versuch, hat man sich von der immer mehr enttäuschten ursprünglichen Konsumentenbasis entfernt. Zusammengefasst eine Mischung aus kurzfristig gewinnoptimierten Denken, ohne den später erforderlichen Erfolg bei den großen und erforderlichen Anpassungssprüngen aufgrund der zuvor gewählten kurzfristigen Strategie zu haben.

Und hier wird es nun knifflig, denn Sonic Mania scheint diese erste problematische Strategie zu verfolgen und ist wie es bisher scheint durchaus erfolgreich damit. Diese Annahme ist relativ einfach zu erfassen, aber im Prinzip einfach falsch. Sonic Mania basiert auf den ersten Teilen der Serie und liefert etwas, was für Serienfremde-Videospieler als auch für Fans funktioniert. Der Trick dabei ist, dass Sonic Mania anders als die ersten Teile der Serie ist und etwas liefert, was man glaubt früher gespielt zu haben. Quasi eine positive Mogelpackung, denn der Titel sieht so aus als hätte dieser auf dem Mega Drive erscheinen können, hätte es aber aufgrund technischer Limitierungen nie können. Spielmechanisch fühlt es sich genauso schwer wie früher an, ist es aber nicht, sondern es wurde an vielen Stellen durch den Levelaufbau und die irreführende Lebens-Anzeige spürbar vereinfacht. Das Gehirn des Videospielers wird so erfolgreich getäuscht und mit Nostalgie befüllt, dass man über die sich durch Sonic Mania vollständig durchziehende Modernisierung hinwegsieht. Eine Mischung aus unbewusster Ignoranz sowie der jahrelang durch das Medium Videospiele antrainierte Standard an Komfortfunktionen sind der Hintergrund hierfür.

Soviel zur grundlegend Theorie, jetzt diese angewendet auf Sonic Mania. Der Titel bietet zwölf Zonen, welche im Gegensatz zu den Vorgängern aus zwei anstelle von drei Akten bestehen. Jede Zone stellt eine eigene Videospielwelt dar und acht dieser Umgebungen wurden aus den früheren Teilen übernommen. Es geht sogar so weit, dass der jeweils erste der beiden Akte eine erweiterte Neuinterpretation eines Akts aus einem früheren Sonic-Videospiel ist und der zweite Akt ein komplett neuer Abschnitt samt neuer Spielmechaniken. Die Kombination aus optisch bekannten Elementen und losen Erinnerungen an spielerische Fragmente triggert das Nostalgiegefühl, bringt aber gleichzeitig die Möglichkeit eine frische Erfahrung zu bieten und aktuelle Standards im Design von Level zu berücksichtigen. Die Reduzierung der Anzahl der Akte bei gleichzeitiger Erhöhung der Zonen trägt dem Drang nach permanenter Abwechslung Rechnung und reduziert Frustfaktoren. Um den damaligen Konzept treu zu bleiben, gibt es bei Sonic Mania eine beschränkte Anzahl an Leben, jedoch gilt diese im Zweifel nicht für den gesamten Videospielverlauf, sondern nur für die Sitzung und für die Zone. Bedeutet, dass man nach dem letzten Ableben nicht komplett von vorne beginnen muss, sondern wieder mit voller Anzahl an Leben am Start der aktuellen Zone ist. Sonic Mania ist zwar kein leichtes Videospiel, aber durch diesen Mechanismus um den Faktor Frustration deutlich entschärft. Die Relevanz jedes einzelnen Akts wird am Ende durch einen im ersten eher einfachen und im zweiten Akt eher schwereren Endgegner erhöht. Die Chance auf Bonuslevel gibt es bei jedem Checkpoint sowie wenn man einen versteckten Ring im Akt findet. Um das tatsächliche Ende zu erleben, ist das Meistern von sieben der Bonuslevel erforderlich, was aber mit einem sehr überschaubaren Zeitaufwand, sowie etwas Neugier kein wirkliches Problem darstellt. Spielmechanisch sind die Erklärungen so rar wie früher, das Leveldesign wurde aber so gestaltet, dass man unbewusst in geschützten Umgebungen etwas lernt und das gelernte dann im späteren Verlauf der Zone immer wieder exklusiv anwendet.

Aspekte die es beim Ursprung von Sonic in den 90er-Jahren nicht in dieser Form gab, Aspekte über die man 2017 unbewusst hinwegsieht und Aspekte die Sonic Mania zu einem für heutige Verhältnisse richtig guten Videospiel für alle Videospieler macht. Es ist die Mischung aus Nostalgie, Fanservice und Zugänglichkeit an der Sega jahrelang gescheitert ist. Die Entwickler Christian Whitehead, Headcannon, and PagodaWest Games haben kein Sonic-Videospiel gemacht, sondern ein Sonic-Videospiel wie sie es als große Fans der früheren Teile der Serie haben möchten. Sega hat kein Videospiel beauftragt wie es Analysten eines Videospiel-Herstellers im Jahr 2017 erwarten, sondern hat den größten Fans der Marke die gestalterische Freiheit gelassen die für eine Sache erforderlich war: Das beste moderne Sonic-Videospiel seit 1994 zu erschaffen. Zumindest wenn man das in meine Augen auf anderer Ebene gute Sonic Generations aus dem Jahr 2011 außen vorlässt.

Gespielt wurde die Xbox One Version von Sonic Mania. Das Videospiel ist seit Mitte August 2017 für alle aktuellen Videospielkonsolen sowie den PC verfügbar. Die normale Version für 20 Euro gibt es auf den jeweiligen digitalen Marktplätzen oder für 90 Euro als Collectors Edition bei Amazon*. Schamlose Eigenwerbung: Natürlich gibt es auf dem Blog auch einen Text zu Sonic Generations. Servicehinweis: Es wurde bewusst auf Witze mit goldenen Ringen und auf Anspielungen sowie Wortspiele hinsichtlich Der Herr der Ringe verzichtet. Hinweis hinsichtlich Transparenz: Sega hat mir vorab einen Download Code für Sonic Mania zur Verfügung gestellt.

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