Project Ten Dollar & der Gebrauchtmarkt

Fast schon passend zum Projektnamen war es der 10. Februar 2010, an dem ein BusinessWeek Artikel die Strategie von EA für den stetig wachsenden Gebrauchtspielemarkt publik machte. Am US-Markt wandert durchschnittlich jedes dritte verkaufte Spiel ein zweites Mal über den Verkaufstresen, jedoch ohne dass der Publisher am Verkaufserlös beteiligt wird. Um über Umwege doch noch vom zweiten Verkauf zu profitieren, hat sich EA entschlossen manche Inhalte für Erstkäufer mittels einmalig nutzbaren Downloadcode kostenlos und für Zweitkäufer gegen die Gebühr der namensgebenden Projektbezeichnung von etwa 10 Dollar anzubieten.

Der Sturm im Wasserglas der Onlinespielepresse hat sich mittlerweile gelegt und auch andere Unternehmen sind auf den Zug aufgesprungen. Ubisoft limitiert mittels Uplay Pass den Onlinezugang zu den virtuellen Straßen von Driver San Francisco, bei Warner dürfen nur die Erstkäufer von Batman Arkham City kostenfrei in die Samthaut von Catwoman schlüpfen und der Online-Pass bei Uncharted 3 verhindert laut dem Entwicklungsstudio die Trennung des On- und Offline-Parts. Je nach Spiel sind es mal einzelne Zusatzmissionen, zusätzliche Autos, weitere Rennstrecken, Mappacks für den Mehrspielermodus oder komplette Spiele-Remakes wie bei Alice Madness Returns, bei dem mittels Einmalcode das im Jahr 2000 erschienene American McGee’s Alice zum Download freigeschaltet wurde.

Fast zwei Jahre sind mittlerweile vergangen und die ursprüngliche Goldgräberstimmung des ehemaligen Branchenprimus ist mittlerweile abgesackt. Laut Quartalsbericht sind die Verkäufe des Projekts zwar zufriedenstellend [sic!], aber realistisch betrachtet ist dies wohl nur die investorfreundliche Formulierung für ein doch nicht so erfolgreiches Projekt. Dass der Konsument (und somit auch Zweitkäufer) über die grundlegende Entwicklung nicht erfreut ist, ist unabstreitbar. Aus Sicht des Entwicklers macht die Schaffung der zusätzlichen Einnahmequelle zwar Sinn, jedoch zeigen sich bei genauerer Betrachtung deutliche Schwächen, die wohl auch zukünftig für keine Umsatzsteigerung bei diesem Refinanzierungsmodell sorgen werden.

Das grundlegende Problem liegt nämlich in der Vergütung aus dem Einzelhandel. Pro verkauften Vollpreistitel erhält der Publisher etwa 27 Euro (unter der Annahme, dass der Vollpreis bei 60 Euro liegt). Bei jedem gebraucht verkauften Spiel geht der Publisher leer aus und der Verkaufserlös geht zu 100% an den Händler. Aus Sicht des Spielers und unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit der Videospielindustrie (weniger Geld => weniger Spiele => weniger Experimente => weniger Abwechslung => Hallo 0815 Produktionen!) macht es ja auch durchaus Sinn, dass der Publisher und dadurch der Entwickler angemessen entlohnt wird, aber das derzeitige Modell macht es einem unheimlich schwer mit gutem Gewissen Geld auszugeben. Als Gebrauchtkäufer fühlt man sich praktisch verfolgt, als hätte man irgendetwas falsches getan oder den Publisher bestohlen. Oft wird man beim ersten Start des Spiel fast dazu genötigt die 10 Euro Strafgebühr in den Rachen des habgierigen Videospielkonzerns zu werfen, um sich danach erst Recht über den Tisch gezogen zu fühlen. Noch merkwürdiger ist jedoch die Anerkennung die man erhält, wenn man ein Spiel neu erwirbt. Anstatt als Kunde wertgeschätzt zu werden, wird man gezwungen kryptische Kolonnen von Buchstaben und Ziffern einzugeben und nach erfolgreicher Eingabe oftmals vor einem Ladebalken zu warten, bis die Inhalte endlich auf der heimischen Festplatte sind. Prinzipiell natürlich keine große Sache, aber ein Gefühl der Belohnung oder Anerkennung für den Neukauf kommt dabei auch nicht auf.

Das Ziel der Spielefirmen sollte jedoch sein, dass der Kunde gerne Geld ausgibt und sich dabei auch noch gut fühlt. Ein radikaler Ansatz wäre die massive Senkung des eigentlichen Verkaufspreises und gleichzeitig das Spiel an die Kundenwünsche angepasst zu verkaufen. Was wäre wenn man bei Uncharted 3 die vom Entwickler verschmähte Trennung in einen On- und Offline-Part tatsächlich vornehmen würde. Sony könnte das Spiel für 35 Euro in die Regale der Händler stellen und am eigenen digitalen Marktplatz den (ebenfalls auf der Disk befindlichen) Mehrspielermodus nach Verkauf eines 20 Euro teuren Online-Pass freischalten. Spieler die nur am (Einzelspieler-)Abenteuer von Nathan Drake Interesse haben kommen mit 35 Euro deutliche günstiger weg und auch beim Kauf der Mehrspielerkomponente hat man in Summe fünf Euro gespart. Trotz des niedrigeren Verkaufserlös im Handel, erzielt der Publisher beim Verkauf beider Komponenten einen höheren Erlös als vorher (45% von 35 Euro plus 70% von 20 Euro ergeben 29,75 Euro anstatt der 27 Euro). Bereits auf der Disk mitgelieferte (freischaltbare) Inhalte sind prinzipiell nichts schlimmes, auch wenn dies derzeit oft als schnelle Abzocke empfunden wird. Ist jedoch der Verkaufspreis im Handel deutlich niedriger, dann handelt es sich nur noch um zusätzliche Inhalte, die man einfach freischalten kann und nicht mehr langwierig herunterladen muss.

Erwartungsgemäß sind nicht alle Käufer bereit die zusätzlichen 20 Euro auszugeben, aber durch das differenzierende Modell ergeben sich sowohl für den Publisher als auch für den Handel positive Effekte, man könnte schon fast von einer Bullshit-Bingo-Win-Win-Situation sprechen. Durch den geringeren Verkaufspreis sinkt zwar der Grunderlös, aber gleichzeitig reduziert sich zum einen der Gebrauchtmarkt (an dem der Publisher derzeit nichts verdient) und die Anzahl der im Handel verkauften Spiele sollte deutlich steigen. Derzeit ist die Preisdifferenz zwischen gebrauchten und neuen Spielen zu hoch um „alle“ Titel neu zu kaufen, aber 35 Euro wäre ein dermaßen attraktiver Preispunkt, dass tendenziell eher zum neuen als zum gebrauchten Spiel gegriffen wird. Desweiteren kann vermutlich der mittlerweile fast schon übliche und äußerst rasche Preisverfall gebremst werden. Praktisch gerade erst erschienen Spielen werden aufgrund mäßiger Verkaufszahlen verramscht und ein Blick zu Händlern wie Amazon zeigt das wirtschaftlich ungesunde Bild der Industrie (traurige Beispiele: Driver San Francisco – 27 Euro*, L.A. Noire – 32 Euro*, PES 2012 – 36 Euro*, Duke Nukem Forever – 20 Euro*). Glaubt man den Zahlen von Valve, wurde durch eine nicht beworbene 75% Reduzierung des Verkaufspreises von Counter-Strike der Umsatz um den Faktor 40 gesteigert. Dies entspricht einer 4000% Steigerung an verkauften Einheiten und auch wenn dieser Wert für den regulären Handel utopisch ist, zeigt er doch die Wichtigkeit des kritischen Preispunktes. Nur die wenigsten Videospiele werden monatelang gespielt, denn der Großteil der DVDs oder Blu-rays wandert schon nach kurzer Zeit ins Regal oder in den gefürchteten Gebrauchtmarkt. Je günstiger Spiele werden, desto mehr werden gekauft und desto höhere Umsätze lassen sich auf Dauer generieren.

Spielefirmen müssen realisieren, dass es nicht die Kunden sind, die durch Gebrauchtkäufe den Publisher betrügen oder bestehlen wollen. Die tatsächlichen Betrüger sind Ketten wie GameStop, die weniger als kein Interesse an der Beteiligung der Industrie am Zweitverkauf haben. Die starke (Verkaufs)Position des Handels macht jegliche Verhandlungen schwer und man muss vermutlich auch Kompromiss eingehen. Die Knebelung des Handels sollte auch niemals das Ziel sein, es geht mehr darum Einnahmequellen außerhalb des üblichen Modells zu schaffen, denn der professionelle Gebrauchtmarkt ist praktisch auch eine Erfindung des Handels am Modell des Publishers vorbei. Das Wohlwollen des stationären Handels ist wichtig, aber zukünftig bitte mit einem fairen und sinnvollen Modell für alle Beteiligten.

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